Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
bürgerliche Gesinnung braucht. Nicht nur taktisch, um Wähler-Milieus zu binden, sondern als Haltung, die einer Volkspartei Vertrauen verschafft. Die pflichtschuldig vorgetragene Formel von den drei Wurzeln der Union, der christliche-sozialen, der konservativen und der liberalen, reicht bei weitem nicht aus. Das ist blutleeres Parteitags-Gemöhre. Dass es anders geht, dass man Konservative anders und vor allem allgemein verständlich erklären kann, hat Ende 2011 Thomas de Maizière beim CDU -Parteitag in Leipzig bewiesen, eine kleine, fünfminütige Fingerübung vorn am Rednerpult. Der Saal war gerade ziemlich leer, da stellte de Maizière ganz knapp die Frage: »Was ist konservativ?« Und gab die Antwort: »Konservatismus ist keine bestimmte Position, sondern eine Haltung.« Dazu zähle Bescheidenheit, Demut, das Sich-in-den-Dienst-Stellen. Weder Wehrpflicht noch Hauptschule, weder Atomkraft noch Euro seien (konservative) Werte der CDU . Es seien nur Instrumente im Dienste höherer Werte, konservativer Haltung eben: Dienst am Land, der Wille zu Erziehung und Leistung, die Bewahrung der Schöpfung.
Ein Jahr später, beim nächsten CDU -Parteitag in Hannover, zeigt sich, wie wenig erst Angela Merkel diesem Milieu anbieten muss, um es zu entzücken. Schon sichtbar auf Wahlkampf getrimmt, geht die Kanzlerin in ihrer Rede die Rot-Grünen für ihre Verhältnisse recht heftig an, schimpft von »Schande«, »Heuchelei« und, ziemlich hölzern, von einem »Mittelstands-Gefährdungsprogramm« wegen der vielfältigen Steuererhöhungs-Wünsche im linken Lager. Der Saal jubelt. Er jubelt über eine in Wahrheit mittelmäßige, fade Rede, die lediglich mit etwas mehr Attacke als üblich gewürzt war. Kleines Geld für eine Parteichefin, würde man meinen, doch die Wirkung ist enorm. Merkel bekommt acht Minuten Beifall, im Stehen und einige Stunden später mit 97,8 Prozent ihr bestes Wahlergebnis überhaupt. Und dann noch einen Klatschmarsch. Trotzdem: Das Konservative bleibt Angela Merkel wohl für immer fremd – und sie den verunsicherten Konservativen ebenso.
Zurück zur Eingangsfrage: Was ist unverhandelbar für Angela Merkel? Was sind ihr Kompass und ihr Kern?
Für die Kanzlerin unverhandelbar ist die deutsche Staatsräson. Dazu gehört vor allem die bedingungslose Unterstützung des Existenzrechtes des Staates Israel. Wie weit sie dabei konkret gehen würde, hat Merkel offen gelassen. Aber man darf annehmen, dass es militärische Hilfe gegen einen Angriff des Irans einschließt. Mit kaum einem Regierungschef kann sich Merkel so sehr am Telefon raufen wie mit Bibi Netanjahu, über kaum einen kann sie sich so sehr ärgern. Aber um Israel im Ernstfall mit zu schützen, würde Merkel ihre Kanzlerschaft jederzeit aufs Spiel setzen, davon bin ich überzeugt.
Unverhandelbar ist auch, hohe Inflation für eine Katastrophe und den Euro für alternativlos zu halten. Das eine ist und bleibt das Trauma der Deutschen, das andere das wichtigste politische Erbe überhaupt: Zu keinem von beiden wird sie sich je in grundsätzlichen, erklärten Widerspruch bringen lassen. Mit vielen anderen (markt-)wirtschaftlichen Prinzipien geht sie – gerade in der Krise – deutlich lockerer um. Und es ist bezeichnend, mit wie viel Bewunderung sie immer wieder einmal davon erzählt, wie Deng Xiaoping Chinas Weg zur Wirtschaftsmacht geebnet hat. Er habe China aus der Umklammerung der kommunistischen Ideologie befreit mit nichts als einem intellektuellen Trick: Demnach sei Marktwirtschaft kein Wert an sich, kein hermetisches Gesellschaftsbild oder Entwicklungsprogramm wie Kommunismus oder Sozialismus, sondern ein Instrument, das auch Kommunisten und Sozialisten sich zu eigen machen dürften. Wirtschaftsliberalen in der CDU dürften bei solchen Exkursen ihrer Parteichefin die Haare zu Berge stehen, aber Merkel ist spürbar beeindruckt von dieser Sicht auf die Marktwirtschaft.
Weniger politisch als psychologisch gehören zum Kern der Kanzlerin aber auch die Lehren aus ihrem Leben in der DDR , letztlich zwei Stichworte: Grenzen und Freiheit. Beide reimen sich auf Amerika, wohin sie mit 60 reisen wollte, sofort, wenn sich für die DDR -Rentnerin Angela Merkel die Möglichkeit dazu endlich ergeben hätte. Vom Wert der Freiheit kann Merkel mitreißend reden und schwärmen, aber tut es eigentlich nur, wenn sie – in Amerika ist. Als sie im November 2009 vor beiden Häusern des US-Kongresses spricht, handeln lange Teile der Rede vom überragenden Wert der
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