Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
nicht aber die jahrzehntelang in Deutschland geübte Praxis, auf eine Krise Europas polit-reflexartig mit »mehr Europa« zu antworten.
Drittens schließlich, das »Konservative«, irgendwie und an und für sich. Kein Vorwurf haftet so hartnäckig an Angela Merkel wie der, sich am konservativen Erbe der Union zu vergehen, das »Tafelsilber« der Partei en gros zu verramschen. Einwanderung, Integration, Staatsbürgerrecht, Kita-Ausbau, Scheidungsrecht, Banken-Verstaatlichung, Wehrpflicht, Hauptschule, schwarz-grüne Bündnisse, Atom-Ausstieg, Homo-Ehe – die Liste ist lang. Scharfzüngige Wirtschaftsliberale finden sich unter den Vergrätzten ebenso wie knorrige Wert-Konservative. Ob nun als Mitglied oder nicht, sie alle nehmen für sich in Anspruch, die wahre CDU zu repräsentieren, » CDU pur«, wie Saarlands Ministerpräsident Peter Müller es einmal nannte.
Diese » CDU pur« habe Angela Merkel zunächst als Parteichefin und erst recht als Kanzlerin nur für den eigenen Machterhalt glatt geschmirgelt. Was dieselben Kritiker gesagt hätten, wenn Merkel auf der Strecke bis hierhin die Macht schon verloren hätte, sei dahingestellt. Es ist die Gegenfrage Merkels, die zeigt, wie sie es mit dem »Konservativen« hält. Sie lautet: »Was ist denn CDU pur?« In Zeiten der Krise, in Zeiten des rasanten weltweiten Wandels, in Zeiten umwälzender Veränderungen in der Gesellschaft und zwischen den Geschlechtern. »Etwa die Antworten von vor 30 Jahren auf die Fragen von heute?« Wer seine Gegner mit derart banalen Fragen lächerlich macht, will sie nicht ernst nehmen.
Und so ist es. Weil sie nicht liefern, weil die Konservativen und Kantigen bislang nicht im Entferntesten formulieren können, was sie konkret wollen, hat Merkel nur leisen Spott für sie und manchmal sogar Verachtung. Als CDU / CSU noch in zehn Bundesländern regierten, hätten sie dort nur viermal das Kultusministerium innegehabt. O-Ton eines Merkel-Intimus: »Wie soll man da konservative Gesellschaftspolitik machen?« Einer, der lange Jahre als einer der wichtigsten »Konservativen« galt, gibt Merkel indirekt sogar Recht. Er sagt: »Die intelligenten Konservativen hadern mit ihrer Lebenswirklichkeit und ihren alten Überzeugungen. Sie merken, dass das eine nicht mehr gut auf das andere passt. Alle Konservativen, die das nicht tun, sind reaktionär.« Und die braucht die CDU nicht, meint Angela Merkel.
Schon Edmund Stoiber platzte eines Abends während der Koalitionsverhandlungen 2005 damit heraus, wie schwer er es mit seiner Tochter habe, die gut ausgebildet nicht nur am Herd und an der Wickelkommode stehen wolle, weshalb seine eigene Frau so oft auf die (Enkel-)Kinder aufpassen müsse. Diesen jungen Frauen aus konservativen Elternhäusern müsse die Union etwas bieten, sonst liefen sie weg, klagte Stoiber. Angela Merkel nickte, erinnert sich ein Teilnehmer der Runde. Für diese Töchter hätte Merkel wahrscheinlich einige Antworten, nicht aber auf die Frage, was die CDU den Eltern dieser jungen Frauen anbieten könnte. Merkel habe mit dem konservativen Kern der CDU »nichts am Hut, den kennt sie gar nicht, weil sie da nicht sozialisiert ist«, sagt ein Kabinettsmitglied dazu. Bei »echten CDU -Konservativen weiß man sofort, wie die auf bestimmte Fragen reagieren, die ihnen wichtig sind. Bei Merkel nicht.«
Belustigt, manchmal belästigt verfolgt sie stattdessen die Versuche jüngerer CDU ler, sich als die neuen Konservativen der Partei bekannt zu machen. Da war zunächst ein Trupp um den Immer-noch-Junge-Union-Chef Philipp Mißfelder. Merkel-Getreue erledigten ihn in dieser Zeit mit dem Hinweis, dass »der Philipp in zwei Jahren als Mitglied des CDU -Vorstands in der Runde noch kein Wort zu dem Thema gesagt hat«. Geraume Zeit später formierte sich ein »Berliner Kreis«, an der Spitze der Fraktionschef der hessischen CDU , Christean Wagner. Es reichte ein Treffen mit CDU -Generalsekretär Hermann Gröhe, und dem konservativen Aufbegehren, wenn es denn je eines war, kam der Schwung abhanden. Als der Kreis Ende August 2012 eine Art Manifest vorstellen wollte, scheiterte das an Terminproblemen der Beteiligten. Seitdem ist nicht mehr viel Nennenswertes passiert. Au weia.
Was die Kritik, die CDU -Chefin habe keinerlei konservativen Kern, dennoch weiter am Leben hält, sind Merkels Zumutungen für diese Gruppe, persönliche Verletzungen inklusive. Zwei nur seien erwähnt, weil sie das Nicht-Verhältnis gut ausleuchten, das sie zu diesem Milieu hat: Es
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