Angelglass (German Edition)
Jongleur.« Lang schüttelt beinahe mitleidig den Kopf. »Jetzt kommt, es ist Zeit für Eure Audienz bei Kaiser Rudolf.«
Mein Abendessen mit dem Kaiser ist ein ausschweifendes Gelage. Nervös warte ich vor der großen Eichentür, bis Lang Seine Exzellenz über mein Eintreffen unterrichtet hat. Dann werde ich in einen großen, von einem Dutzend Kandelabern erhellten Raum geführt, dessen steinerne Wände mit Wandteppichen verhängt sind. Ein riesiger Tisch stöhnt unter der Last eines atemberaubenden Festmahls aus Wildschwein und Reh, Früchten und Gemüse, Süßspeisen und Konfekt. Rudolf ist in einen voluminösen Pelzmantel gekleidet und hockt in melancholischer Stimmung am Kopf des Tisches, während ein unbeachteter Zwerg in rot-grünem Narrenkostüm um seinen Stuhl herumspringt. Auf einem Podium in der Ecke des Raums spielen nervöse Musikanten lieblich klingende Madrigale, während die Diener stumm und unbeweglich in den Schatten warten.
»Eure Exzellenz«, sagt Lang und verbeugt sich tief vor Rudolf. Der Zwerg unterbricht sein Herumgehopse, hält dem Kammerherrn einen mit Schellen und Amuletten bewehrten Stab entgegen und rüttelt an ihm.
»Haifischaugen, Falkennase – Honig süßt die eitle Phrase«, plappert der Narr und bricht angesichts seines eher mäßigen Couplets in Gelächter aus. Lang wirft ihm einen Blick zu, richtet sich dann auf und zieht mich zu sich heran.
»Exzellenz, ich bringe den Findling.«
»Im Graben gefunden, vom Himmel gekommen?«, flüstert der Narr deutlich hörbar in Rudolfs Ohr. »Nicht Meister, nicht Monster – doch der Hölle entronnen?«
Der Kaiser rührt sich plötzlich, um dem Spaßmacher seine große, beringte Hand ins Gesicht zu schlagen. Begleitet vom aufgeregten Klingeln seines Schellenbaums schlägt der Zwerg einen Purzelbaum. »Jeppe, du langweilst mich. Verschwinde jetzt, ich will mich mit meinem neuen Hündchen unterhalten.«
Der Spaßvogel verneigt sich kurz und huscht hinter den Wandvorhang. Lang deutet mir an, mich links von Rudolf hinzusetzen, wo ein Platz für mich bereitet worden ist.
»Du auch, Kammerherr«, sagt Rudolf mit träger Stimme. »Ich will alleine mit dem Findling sprechen.«
Lang runzelt die Stirn, nickt dem Kaiser jedoch ergeben zu. »Sehr wohl, Eure Exzellenz.«
Mit einer schwungvollen Bewegung dreht Lang sich um und überlässt mich der Gesellschaft des Kaisers, dessen unter schweren Lidern hervorblickende Augen mich aufmerksam beobachten. Ich kann die Atemzüge der Diener zwar in den Schatten spüren, doch praktisch bin ich jetzt mit dem Kaiser allein.
Mit unheilvollem Starren betrachtet Rudolf eine einzelne Weintraube und dreht sie in den Fingern hin und her, sodass sich das durch die verstaubten Fenster eindringende Licht auf ihr spiegelt.
»Kanntest du meinen Vater?«, fragt er.
Ich lasse von meiner gebratenen Hühnerbrust ab, doch bevor ich etwas antworten kann, sagt Rudolf wie zu sich selbst: »Ein guter Mann, dessen Herz ich folge. Vor vielen Jahren ist er gestorben und hinterließ mir sein Heiliges Römisches Reich. Ich trage diesen Herrschermantel durchaus nicht mit Behagen, Findling.«
Der Kaiser verlangt mehr Wein und betrachtet mit großem Interesse die tiefrote Flüssigkeit, die in seinem makellos geschliffenen Glas schillert. Nach einer Weile fragt er mich: »Was weißt du von der Welt, Findling?«
»Eure Exzellenz, nur wenig, muss ich gestehen«, erwidere ich und erinnere mich an Sir Anthonys Mission. »Ich habe von den Türken gehört …«
»Der Türke steht immer kurz vor den Toren des Schlosses«, seufzt Rudolf. »Und das ist bildlich gesprochen, Findling. Verstehst du mich? Wenn es nicht der Türke ist, ist es der Spanier oder der Engländer. Und wenn nicht sie, dann ist es meine Familie.«
Abrupt steht er auf und fegt mit einer plötzlichen Bewegung seinen Teller vom Tisch. »Ich werde von allen Seiten belagert«, brüllt er. »Mehr Wein!«
Als ein neuer Teller und ein frisches Glas Wein gebracht werden, rupft Rudolf ein Stück gebratenes Wildschwein ab. »Nachdem mein Vater starb«, fährt er in jetzt ruhigerem Ton fort, »und ich der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wurde, habe ich den Regierungssitz der Habsburger Monarchie nach Prag verlegt. Weißt du, was über das Haus Habsburg gesagt wird, Findling? Dass wir wahnsinnig sind. Wahnsinnig von Geburt an. Dass der Wahnsinn in unserer Familie auftritt so wie rotes Haar und eine krumme Nase. Meine Urgroßmutter wurde Johanna die Wahnsinnige genannt. Es
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