Angelglass (German Edition)
ziemlich heftige Sachen verwickelt. Aber er ist ein guter Kerl, und das ist das Wichtige.«
Heute Morgen bin ich mit einem von gleißendem Licht erfüllten Kopf und der Erinnerung an Jennys Kuss auf meinen Lippen aufgewacht. Auf der Karlsbrücke, unter den kalten Sternen, hat sie sich fast sofort von mir losgerissen, den Kopf geschüttelt, so als wollte sie auf andere Gedanken kommen oder das Nebelgefühl des Weins loswerden, und Entschuldigungen gemurmelt. Für mich hatte sich der Kuss angefühlt, als wollte sie irgendeine Entdeckung machen oder unbekanntes Territorium erforschen. Schweigend liefen wir zum Haus, und sobald wir durch die Tür gekommen waren, zog sie sich in ihr Zimmer zurück. Karla und Cody waren auch schon zu Bett gegangen, und nur Petey saß allein in der Dunkelheit. Die orangefarbene Glut des Joints überzog sein Gesicht mit der Farbe von sterbender Asche.
»Poutnik«, lallte Petey verträumt in sich hinein. »Der Wanderer …«
Nach einem Augenblick drückenden Schweigens ging ich ins Bett.
Im Keller ist es warm. Das entfernte dumpfe Geräusch eines Boilers oder Generators erzeugt ein konstantes Summen. Es gibt keinen Aufzug, und deshalb muss ich die Kisten über die enge und gewundene Treppe nach oben schleppen. Bevor ich die letzte hinaufbringe, nehme ich meine Schürze ab und wische mir über mein verschwitztes Gesicht und meinen Hals. Dann zerre ich die klirrenden Flaschen die Treppe hinauf. Die kalte Luft, die mir aus dem Kühlschrank entgegenbläst, als ich die neuen Flaschen hineinpacke, ist echt ein Segen. Als ich endlich fertig bin, ist die Kneipe bereits gut gefüllt und zwei weitere Angestellte sind aufgetaucht. Noel hat seinen Platz in der Ecke verlassen und Padraig ist nirgendwo zu sehen. Eine der neuen Thekenkräfte ist eine junge Frau mit gepiercter Augenbraue und aufsehenerregend rotem Haar. »Hey du, Neuer! Wir haben hier hinten bald keine Gläser mehr. Kannst du mal rumgehen und ein paar der Tische abräumen?«, ruft sie mir zu.
Ich will gerade loslegen, als mir auffällt, dass ich meine Schürze im Keller liegen gelassen habe. Padraig hat mich ermahnt, sie im Kneipenbereich immer zu tragen, also haste ich die Treppe hinunter, um sie zu holen. Sie liegt auf ein paar matt schimmernden Metallfässern.
Ich höre ihre Stimmen, den Bruchteil einer Sekunde bevor ich sie sehe, und als ich von der letzten Stufe hinunterspringe, blicken sie zu mir herüber.
»… Zünder …«, ist alles, was ich Noel sagen höre, der Padraig über eine große Kiste in der hintersten Ecke des dämmrigen Kellers hinweg ansieht. Schnell und gewandt beugt sich Padraig nach vorn, legt ein Tuch über die geöffnete Kiste und schenkt mir ein breites Grinsen, was Noels finsteren Blick anscheinend abschwächen soll.
»Pooty!«, sagt Padraig mit übertrieben betonter Gutmütigkeit. »Alles klar bei dir?«
»Ich wollte nur meine Schürze holen«, erwidere ich leicht betreten, ohne eigentlich zu wissen, warum. Noel scheint sich zu entspannen und zieht Padraig in gespieltem Ernst am Ohr. »Ihr beiden macht euch sofort an die Arbeit. Es ist Mittagszeit. Habt ihr das nicht mitbekommen?«
Zusammen mit Padraig steige ich wieder nach oben. »Weißt du was?«, sagt Padraig. »Sobald der Ansturm hier vorbei ist, so gegen zwei, verziehen wir uns und gehen was essen. Na, wie klingt das?«
»Gut«, erwidere ich, als wir die Theke erreichen. »Padraig, ich …«
Aber weiter komme ich nicht, denn die junge Frau mit der gepiercten Augenbraue sieht mich verärgert an. »Hey Neuer! Gläser! Wir brauchen Gläser!«
Ich nicke, schnappe mir ein Tablett und einen Lappen und arbeite mich von einem besetzten Tisch zum nächsten.
Padraig führt mich in ein kleines Café nahe beim Altstädter Ring. Es ist hell und kühl, aber nicht allzu kalt, und wir sitzen draußen im Schatten der Türme der Teynkirche und beobachten die Touristen. Sie blicken zu dem stündlich erscheinenden Ballett der astronomischen Uhr hinauf und sehen zu, wie die grinsende Figur des Todes ihre Kreise um das altehrwürdige Wahrzeichen der Stadt zieht. Fliegende Händler und Verkaufsstände drängen sich am Rande des Platzes aneinander und bieten Marionetten, Postkarten und Militärmützen mit Tarnfleckmuster zum Verkauf.
»Oktober ist eine schöne Zeit, um in Prag zu sein«, sagt Padraig und kaut auf seinem Roastbeefsandwich herum. »Die Touristenmassen sind etwas kleiner geworden und noch ist es nicht zu kalt. Denk dran, der Winter kann ganz schön
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