Angelika Mann - Was treibt mich nur?: Autobiografie (German Edition)
und dem Saalbau Friedrichshain ab. Als ich nach einem Tanzabend im Saalbau wieder einmal am Flügel saß und die Band nervte, sprach mich ein junger Mann an. Sein Name war Peter Hanisch. Er hatte eine Band, die Peter-Hanisch-Combo . Sie suchten jemanden, der Klavier spielen konnte. Da ließ ich mich nicht lange bitten. Die erste Probe fand im „Jochen-Weigert-Club“ in der Bersarinstraße, heute Petersburger Straße, statt. Wir probten im Keller zwischen Gerümpel und Kohlen. Als Instrument stellte man mir eine „Harmona“ hin. Das sollte so etwas Ähnliches wie eine Orgel sein, klang furchtbar. Im Internet findet man dieses Instrument heute unter der Bezeichnung „Kofferharmonium“. Egal, ich durfte in einer Band spielen! Das Repertoire der Truppe war gar nicht schlecht. Es gab Schlager, Beat und sogar jazzige Titel. Wir versuchten uns an Nummern wie „Mercy, mercy“, die wir auf einer AMIGA-LP von Chris Barber gefunden hatten. Unsere Sängerin Brigitte, die eine sehr schöne Stimme hatte, sang alles hoch und runter, was der deutsche Schlagermarkt so hergab. Irgendwann brauchten wir einen neuen Sänger und veranstalteten eine Art Casting. Dabei war ich der Chef und habe die Sänger zeigen lassen, ob sie ein gutes Timing hatten und vor allem, ob die Töne stimmten. Die Wahl fiel schließlich auf Christian Schmidt, einen Pfarrerssohn aus Berlin-Pankow. Christian war ein intelligenter Typ und sang ein bisschen wie Joe Cocker. Sein Schrei bei „With A Little Help From My Friend“ war einfach irre. Der ganze Saal schrie mit. Mein Gesang war zu dem Zeitpunkt noch nicht gefragt, wir hatten ja eine gute Sängerin, die außerdem bildhübsch war.
Die Peter-Hanisch-Combo – oben: Christian Schmidt, Peter Hanisch, Jürgen „Joschi“ Reck (v.l.) – unten: ich, Achim Jänicke, Brigitte Baumeister (v.l.)
Davon ließ ich mich jedoch nicht beeindrucken – ich wollte unbedingt mal ran und bettelte, Marianne Rosenbergs ersten Riesenhit „Mister Paul McCartney“ singen zu dürfen. Als der große Augenblick gekommen war, blieben die Leute auf der Tanzfläche stehen und hörten mir zu, so etwas war bei einer Tanzveranstaltung völlig unüblich. Schließlich tobte der ganze Saal. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis – endlich als Sängerin auf der Bühne! Einer, der sich damals wie ich auf allen Konzerten herumtrieb, Klaus Scharfschwerdt, heute Schlagzeuger bei den Puhdys, hatte mir schon damals gesagt: „Du musst unbedingt singen“. Der Meinung war ich allerdings auch.
Ich wusste nun, dass es mir nicht reichte, nur als Instrumentalistin auf der Bühne zu stehen. Dieses Wissen verstärkte sich, als ich später im Saalbau Friedrichshain ein ähnliches Erlebnis hatte. Ich ging, obwohl ich nun selbst Musik machte, weiterhin so oft ich konnte zu den Tanzveranstaltungen. Irgendwann meinte Achim Mentzel, ich solle doch mal was singen. Unter Musikanten hieß das damals „’ne Einlage machen“. Ich habe mich nicht lange bitten lassen und gab mit Achims Band einen Song zum Besten, der auch von unserer Sängerin Brigitte gesungen wurde – „Mississippi Delta“. Ich bestimmte den Groove und zeigte der Band die Harmonien: Wenn sie G spielen sollten, zeigte ich den Daumen, bei C den Zeigefinger, bei D den Mittelfinger. Mehr Harmonien hatte die Nummer nicht. Dann legte ich los. Plötzlich stand der halbe Saal auf der Bühne und rockte mit. Achim hat dies übrigens auch in seiner Biografie beschrieben. Für mich war das ein unbeschreibliches Gefühl und richtungsweisend für meine Karriere als Sängerin.
Nach den erfolgreichen Auftritten hatte ich plötzlich richtig viel zu tun und war fast an jedem Wochenende unterwegs. Die Apotheke im Hedwigskrankenhaus hatte ich inzwischen verlassen und arbeitete nun im zum Kulturbund gehörenden „Klub der Kulturschaffenden“.
Dort konnte ich auch etwas für meine Bildung tun. Der Leiter der Bibliothek Wilhelm Tkaczyk war Schriftsteller und Lyriker. Er hat mir viele Bücher geliehen, mir viel erklärt. Ich war schon immer eine Leseratte und dort fürs Erste sehr gut aufgehoben.
Aber irgendwann bot sich mir die Gelegenheit, in der Frankfurter Allee im „Musikfreund“ zu arbeiten. Das war, so erinnere ich mich, das größte Musikgeschäft in Ostberlin. Nun war ich sozusagen an der Basis. Alles, was ich an klassischen Noten benötigte, gab es dort. Obendrein die allerneuesten Platten, selbst die, die nur unter dem Ladentisch gehandelt wurden. Täglich kamenbekannte Musiker oder
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