Angelika Mann - Was treibt mich nur?: Autobiografie (German Edition)
und konnte kaum noch sprechen. Die Veranstalter haben mir Simulation unterstellt. Von wegen! In Woroschilowgrad musste ich schließlich ein Krankenhaus aufsuchen. Als ich das Haus von innen sah, habe ich sofort eine Kehrtwende gemacht. Mir war klar, dass ich ohne ärztliche Hilfe gesund werden musste.
Unsere Band bediente sich während der Reise eines geflügelten Wortes: Siff-Blues. Das ging schon morgens los, das Frühstücksbuffet war versifft und wir hatten denBlues. Weil ich wegen der Erkältung keinen Ton singen konnte, mussten wir einmal einen Teil des Programms Playback spielen. Ich habe mich fast zu Tode geschämt, weil ich das hasse. Aber wir konnten doch nicht tausend Leute nach Hause schicken. Das letzte Konzert der Tour in Moskau musste dann ausfallen, weil ich nicht mal mehr sprechen, geschweige denn singen konnte. Als wir in Schönefeld landeten, gingen wir alle in die Knie und waren unendlich froh, wieder in der Heimat zu sein. Zu Hause hatten mir die Nachbarn den Kühlschrank vollgepackt. Keiner kann sich vorstellen, wie herrlich ein Leberwurstbrötchen nach sechs Wochen SU-Tournee schmeckt.
■ Der Ausreiseantrag
Nun hatte uns der DDR-Alltag wieder und ich sollte eine böse Überraschung erleben. Mir wurde durch die Blume mitgeteilt, dass Andreas Bicking zu Karat wechseln würde. Für mich brach eine Welt zusammen. Mir war sofort klar, dass ich so einen guten Bandleader und Komponisten nie wieder finden würde. Andreas war für mich das, was Franz Bartzsch für Veronika Fischer war. Wir hatten uns über die Jahre hochgearbeitet, waren erfolgreich, produzierten mit „Rockmusik zum Anfassen“ sogar eine eigene Sendereihe im DDR-Fernsehen.
Natürlich konnte ich Andreas auf der anderen Seite verstehen. Karat sollte auf große Europa-Tournee gehen und es gab einfach nichts Verlockenderes für einen Musiker aus dem Osten, als endlich im Westen spielen zu dürfen.
Daraus wurde dann doch nichts: Andreas war ledig und hatte noch nicht einmal seinen Wehrdienst abgeleistet, er war kein „Reisekader“, wie es damals so schön hieß. Meine Enttäuschung war trotzdem groß und der Riss, der zwischen uns entstanden ist, ließ sich vorläufig nicht mehr kitten. Andreas wechselte daraufhin zu Stern Meißen .
Die Trennung von Andreas war einer der Tiefschläge in meinem Leben. Ich versuchte noch halbherzig, Ersatz für ihn zu finden, aber mir war klar, dass es für mich in diesem Land keine Zukunft mehr gab. Die Situation in der DDR war schon seit Langem recht trostlos und ich war regelrecht depressiv, müde und traurig. Seit Jahren kämpfte man immer um diesselben Dinge: Texte, Musik, Klamotten, Auftritte, Musikinstrumente – und hatte das Gefühl, sich im Kreis zu drehen. Der Exodus der DDR-Künstler hatte ja schon nach der Biermann-Ausweisung begonnen und setzte sich kontinuierlich fort. Viele meiner Musikerkollegen waren schon weg. Vroni Fischer, Franz Bartzsch, Holger Biege. Auch ich hielt es einfach nicht mehr aus, es ging weder vor- noch rückwärts.
Es muss im Sommer 1983 gewesen sein, als Lacky die dritte Kinderplatte „Mimelitt, das Stadtkaninchen“ produzierte. Auf dieser LP wurden die Lieder nur noch von Lacky und mir gesungen, da Vroni Fischer schon im Westen war. Mein Mann Udo sollte die Gitarren einspielen.
Lacky wollte nun des besonderen Klanges wegen eine „Ovation“-Gitarre für eines der Lieder. Das waren brandneue elektroakustische Gitarren mit gewölbtem Korpus, die es bei uns natürlich nicht zu kaufen gab. Auch für die anderen Lieder sollte eine bestimmte Gitarre den Klang liefern. Wir waren gezwungen, die Instrumente aus dem Westen zu holen, was bedeutete, dass wir viel Geld in Westmark umtauschen mussten. Das Geld hatten wir natürlich gerade nicht zur Hand und so liehen wir uns die Beträge. Udo pumpte sich bei einem „Geldhai“ 10.000 Mark und zahlte dafür 20 Prozent Zinsen. Die Kohle wurde in den Westen gebracht umgetauscht und die Gitarren gekauft. Leider hatten die DDR-Grenzer gar keinen Sinn für Kultur. Sie haben die Instrumente eiskalt konfisziert. Udo musste ein zweites Mal Geld borgen, um sie beim Zoll für 1.600 Mark auszulösen. Ich hatte die Nase voll und schrieb dem Kulturministerium einen Brief, in dem ich den „Gitarrenfall“ schilderte. Ich habe mir den ganzen Frust von der Seele geschrieben – damit angefangen, dass sich unsere Schlagzeuger ja sogar die Trommelstöcke selber schnitzen, mussten, ein Satz Gitarrensaiten 80 Mark kostete, und es
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