Angélique - Am Hof des Königs
einige Zeit verbracht haben, ohne dadurch ihre Ehre einzubüßen. Dennoch möchte ich zu bedenken geben, dass die Tatsache, dass er anonym und ohne jeden Kontakt zur Außenwelt gefangen gehalten wird, auf den besonderen Ernst der Lage hinweist.«
Angélique schwieg einen Moment. Mit einem Mal spürte sie ihre Müdigkeit, und ihr Magen schmerzte vor Hunger. Oder vielleicht doch vor Angst?
Sie blickte zu dem Beamten auf, in dem sie sich einen Verbündeten erhoffte.
Wieder überfiel sie dieser nicht enden wollende Schwindel, der sie jedes Mal packte, wenn sie nur daran dachte, dass Joffrey ein unwiderrufliches Unglück zustoßen könnte.
»Da Ihr bereits die Güte hattet, mich aufzuklären, Monsieur, sagt mir nun auch noch, was ich tun soll.«
»Noch einmal, Madame, es geht hier nicht um Güte, sondern um Gerechtigkeit. Aus Gerechtigkeitsempfinden nehme ich Euch in meinem Haus auf, und da Ihr mich um Rat bittet, werde ich Euch an einen anderen Juristen verweisen. Denn ich befürchte, dass ich in dieser Angelegenheit als befangen und parteiisch gelten werde, auch wenn unsere familiären Beziehungen bislang nicht sehr eng waren.«
»Das könnt Ihr wohl laut sagen«, rief Hortense, die ihren Zorn nur mühsam im Zaum hielt, mit der schrillen Stimme ihrer Jugend dazwischen. »Solange sie ihre schönen Schlösser und die Goldmünzen ihres Krüppels hatte, hat sie doch keinen Gedanken an uns verschwendet. Graf de Peyrac ist Mitglied des Parlaments von Toulouse. Glaubt Ihr nicht, er hätte Euch durch eine Empfehlung an hohe Pariser Richter behilflich sein können?«
»Joffrey unterhielt kaum Beziehungen in die Hauptstadt.«
»Ja, ja!«, äffte ihre Schwester ihren Tonfall nach. »Bloß ein paar unbedeutende Beziehungen zu den Gouverneuren des Languedoc und des Béarn, zu Kardinal Mazarin, zur Königinmutter und zum König!«
»Du übertreibst …«
»Also bitte, wart ihr nun zur Hochzeit des Königs eingeladen oder nicht …? Und natürlich kannte dein ehrenwerter Gemahl die Hauptstadt, schließlich hat er sich doch hier ein prächtiges Haus bauen lassen, das er höchstpersönlich mit Möbeln, Spiegeln und Gemälden ausgestattet hat!«
Angélique antwortete nicht und verließ den Salon. Diese Auseinandersetzung konnte sich noch ewig hinziehen. Und da Hortenses Mann einverstanden war, konnte sie genauso gut Florimond hereinholen. Als sie die Treppe hinunterging, ertappte sie sich bei einem Lächeln. Es hatte nicht lange gedauert, bis Hortense und sie wieder zu ihren vertrauten Streitereien zurückgefunden hatten …! Monteloup war also doch noch nicht tot. Es war immer noch besser, sich gegenseitig an den Haaren zu zerren, als einander fremd gegenüberzustehen.
Draußen auf der Straße traf sie auf Binet, der auf dem Trittbrett der Kutsche saß und den schlafenden Säugling im Arm hielt. Der junge Barbier sagte ihr, er habe gesehen, dass das Kind Schmerzen litt, und ihm deshalb ein Heilmittel aus Opium und zerstoßener Minze verabreicht, von dem er einen kleinen Vorrat bei sich hatte, weil er wie alle Vertreter seines Gewerbes gleichzeitig auch ein wenig Chirurg und Apotheker war. Angélique dankte ihm. Sie erkundigte sich nach Marguerite und der jungen Magd und erfuhr, dass ihre Kammerfrau, als sich das Warten in die Länge zog, dem Ruf eines Badeknechts nicht hatte widerstehen können, der singend durch die Straßen zog:
»Kommt ihr Frauen allzuhauf,
ins Badhaus der heiligen Jeanne.
Knechte und Mägde warten darauf,
euch zu baden, wohlan,
Kommet, die Bäder sind bereit …«
Wie alle Hugenotten hatte Marguerite eine ausgeprägte Vorliebe fürs Baden, was Angélique durchaus nachvollziehen konnte.
»Ich würde der heiligen Jeanne nur zu gerne ebenfalls einen Besuch abstatten …«, sagte sie und seufzte.
Die Lakaien und die beiden Kutscher saßen im Schatten des Karrens, tranken hellen Rotwein und aßen geräucherte Heringe, denn es war Freitag und sie waren Katholiken.
Angélique betrachtete ihr staubiges Kleid und Florimond, der bis zu den Augenbrauen mit Rotz und Honig verschmiert war. Was für ein jämmerlicher Anblick!
Aber selbst das musste der Gemahlin des fleißigen Prokurators noch sehr luxuriös erscheinen, denn Hortense, die ihr nach unten gefolgt war, lachte hämisch.
»Na, meine Liebe, für eine Frau, die sich beklagt, an einer Straßenecke nächtigen zu müssen, bist du gar nicht so schlecht ausgestattet: eine Karosse, ein Gepäckkarren, insgesamt sechs Pferde, vier oder fünf Lakaien und zwei
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