Angélique - Am Hof des Königs
Morgen das Gefühl, im Theater zu sein«, erhob sich daraufhin die leicht lispelnde Stimme des Kardinals. »Dieser Mann ist hässlich, entstellt und verkrüppelt, doch als er an der Seite seiner wunderschönen Frau und gefolgt von diesem
großen, in weißen Satin gekleideten Mohren vor uns trat, dachte ich unwillkürlich: Wie schön sie sind!«
»Sie sind zumindest eine Abwechslung nach so vielen langweiligen Gesichtern«, entgegnete der König. »Trifft es zu, dass er eine herrliche Stimme hat?«
»Das wird immer wieder behauptet.«
Der gleiche Adlige wie zuvor lachte höhnisch auf.
»Wahrlich eine äußerst rührende Geschichte, fast schon ein Märchen. Man muss wohl in den Süden kommen, um so etwas zu hören.«
»Ihr seid unerträglich mit Eurem ewigen Spott«, rügte ihn die Königinmutter erneut. »Euer Zynismus missfällt mir, Monsieur.«
Der Höfling neigte den Kopf, und während die übrigen Tischgenossen ihre Unterhaltung wieder aufnahmen, gab er vor, vom Treiben des Hundes angelockt zu werden, der in der Türöffnung an seinem Knochen nagte. Als Angélique sah, wie er sich ihrem versteckten Beobachtungsposten näherte, stand sie hastig auf, um sich zurückzuziehen.
Sie ging ein paar Schritte durch das Vorzimmer, aber ihr schwerer Manteau verhakte sich in den Griffen einer Konsole.
Während sie sich bückte, um sich zu befreien, stieß der junge Mann den Hund mit dem Fuß zur Seite, kam heraus und schloss die kleine, von dem Wandbehang verdeckte Tür hinter sich. Nachdem er das Missfallen der Königinmutter erregt hatte, hielt er es für klüger, sich für eine Weile aus ihrem Blickfeld zu entfernen.
Achtlos ging er an Angélique vorbei, drehte sich dann aber noch einmal um und betrachtete sie genauer.
»Das ist ja die Frau in Gold!«
Sie sah ihn hochmütig an und wollte hinausgehen, aber er versperrte ihr den Weg.
»Nicht so schnell! Lasst mich dieses Phänomen erst einmal
näher in Augenschein nehmen. Ihr seid also die Frau, die ihren Ehemann liebt? Und was für einen Ehemann! Ein wahrer Adonis!«
Sie musterte ihn mit stummer Verachtung. Er war größer als sie und sehr gut gebaut. Seinem Gesicht mangelte es nicht an Schönheit, aber seine schmalen Lippen umspielte ein Hauch von Bosheit, und seine mandelförmigen Augen waren gelb mit kleinen braunen Tupfen. Diese unbestimmte und ziemlich gewöhnliche Farbe entstellte ihn ein wenig. Er war geschmackvoll und teuer gekleidet, und seine weißblonde Perücke bildete einen reizvollen Kontrast zu seinen jugendlichen Zügen.
»Tatsächlich könnt Ihr einem Vergleich mit ihm kaum standhalten«, entgegnete Angélique kühl, obwohl sie nicht umhinkonnte, sein stattliches Äußeres ansprechend zu finden. »In meiner Heimat werden Augen wie die Euren als ›fleckige Äpfel‹ bezeichnet. Versteht Ihr, was ich sagen will? Und was die Haare betrifft, so sind die meines Gemahls wenigstens echt.«
Ein Ausdruck verletzter Eitelkeit verdunkelte die Züge des Adligen.
»Ihr lügt!«, rief er. »Er trägt eine Perücke.«
»Ihr könnt ja zu ihm gehen und daran ziehen, wenn Ihr Euch traut.«
Sie hatte seinen wunden Punkt berührt und vermutete, er trage eine Perücke, weil sein eigenes Haar schütter zu werden begann. Doch schon bald hatte er sich wieder in der Gewalt. Seine Augen verengten sich zu zwei funkelnden Schlitzen.
»Ihr wollt also beißen? Das ist nun wirklich zu viel Talent für eine kleine Provinzlerin.«
Er schaute sich hastig um, dann packte er sie bei den Handgelenken und drängte sie in den Treppenwinkel.
»Lasst mich los!«, verlangte Angélique.
»Gleich, meine Schöne. Aber zuerst haben wir beide noch eine kleine Rechnung zu begleichen.«
Ehe sie auch nur ahnen konnte, was er vorhatte, hatte er schon ihren Kopf nach hinten gezogen und sie brutal in die Lippen gebissen. Angélique schrie auf. Ihre Hand traf mit voller Wucht die Wange ihres Peinigers. Die langen Jahre, in denen sie sich guter Manieren befleißigt hatte, hatten einen letzten Rest bäuerlichen Ungestüms nicht ausmerzen können, und in ihrem Zorn reagierte sie genauso wie einst, als sie mit gesunder Kraft auf ihre kleinen Spielkameraden losging. Sie versetzte ihm eine schallende Ohrfeige, und er musste Sterne funkeln sehen, denn er wich zurück und hob eine Hand an die schmerzende Stelle.
»Alle Achtung, das war die Ohrfeige eines echten Waschweibs!«
»Lasst mich durch«, wiederholte Angélique, »oder ich richte Euch so zu, dass Ihr nicht mehr vor dem König
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