Angélique - Am Hof des Königs
Geistliche in weltlicher Kleidung sprachen sie an und wollten wissen, ob sie einen angenehmen Spaziergang gehabt hätten. Einer von ihnen jedoch, M. de Valence, bat sie nach einem kurzen Gruß gleich wieder, ihn zu entschuldigen.
»Ich muss sofort zu Kardinal Mazarin und ihm beichten, was ich und meine Freunde hier Schlechtes über ihn gesprochen haben. Denn es ist für uns alle besser, wenn er es von mir selbst erfährt und nicht vom Abbé de Bonzi, seinem eifrigsten Spion …«
Kapitel 6
E ine vorbeifahrende Kutsche hielt neben ihnen an. Die Insassen streckten den Kopf aus dem Fenster und beschworen Mlle. de Montpensier, sich ihnen anzuschließen. Sie waren auf dem Weg zum Bidassoa, um sich den berühmten Pavillon anzuschauen, der dort nicht bloß für die ersten Verhandlungen, sondern bereits in Erwartung feierlicherer Begegnungen errichtet worden war. Wenn die Könige und ihr Hof dort erst einmal zusammentrafen, würde es nicht mehr möglich sein, die luxuriöse Ausstattung in Ruhe zu bewundern.
Da sie wussten, dass Mademoiselle und Monsieur den Pavillon am Vortag besucht hatten, hofften sie, sie könne sie dem spanischen Aufseher der Arbeiten vorstellen, der für das Bauwerk und dessen Ausschmückung verantwortlich war.
Mademoiselle und Angélique stiegen ein. Während die fröhliche Gesellschaft die wenigen Meilen zurücklegte, die Saint-Jean-de-Luz vom Ufer des Grenzflusses trennte, berichtete ihnen Mademoiselle von den Dingen, auf die sie bei ihrem allzu kurzen Besuch am Vortag bereits einen flüchtigen Blick hatte werfen können, unter anderem herrliche Wandteppiche, die im Inneren aufgehängt worden waren, um den Räumen die majestätische Anmutung und Pracht eines königlichen Palastes zu verleihen. Sie hatte auch gesehen, wie zwei Schreibkästen aus Tropenholz und Schildpatt mit Beschlägen, Schlössern und Zubehör aus reinem Gold hereingebracht und aufgestellt worden waren.
»In allen Räumen sind die Decken mit gewässertem Taft bezogen,
und die Wände wurden mit Blumenstoffen und prunkvollen farbigen Tapisserien bedeckt. Auf dem Boden sind mir nur die Teppiche im Konferenzsaal aufgefallen, wo die beiden Könige den Schwur leisten werden. Mein Gott, wird das ein ergreifender Tag! Die Ränder der Teppiche markieren die Grenze der beiden Nationen, die die Herrscher nicht überschreiten dürfen.«
Diese Stelle am Ufer des Bidassoa hatte bei unerlaubten, diplomatischen oder auch mystischen Begegnungen – etwa für die Pilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela – schon immer als Übergang in das hinter seinem Wall aus hohen Bergen nahezu unerreichbare Spanien gedient. Hier endeten die westlichen Ausläufer der Pyrenäen kurz vor dem Ozean. Die Gezeiten waren noch spürbar, aber das Wasser war nicht mehr ganz so salzig, und der Bidassoa verdiente die Bezeichnung Fluss oder gar Strom.
Als sich die kleine Gesellschaft, die Mademoiselle unter ihre Fittiche genommen hatte, von französischer Seite her dem Fluss näherte, entdeckte sie entzückt den versprochenen kleinen Palast, der sich im fast reglosen Wasser spiegelte. Auf seiner Insel glich er einem Märchenschiff, das sich von der Strömung treiben ließ.
Dieses fragile, provisorische Bauwerk ermöglichte den Empfang der Mitglieder sowohl der spanischen als auch der französischen königlichen Familie mitsamt ihrem jeweiligen Hof, ihren Ministern, ihrem Gefolge, ihren Gästen und einem Mindestmaß an Leibgarden. Denn der Pavillon war nach dem Grundsatz errichtet worden, dass der König von Spanien während der gesamten Dauer seines Besuchs nicht einen Fuß außerhalb seines Königreichs setzen sollte.
Die Begegnungen der beiden Herrscher würden also zu beiden Seiten einer Grenze stattfinden.
Es verstand sich von selbst, dass keine der beiden Nationen versuchen durfte, die andere durch übermäßige Prachtentfaltung auszustechen. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, im Inneren des Gebäudes nicht nur die praktisch unüberwindliche Grenzlinie nachzuzeichnen, sondern auch den beiden vertretenen Mächten genau die gleiche Anzahl Räume in genau der gleichen Größe zuzuweisen. Aber der spanische Verantwortliche für die Arbeiten, der Aposentador mayor, der mit dieser heiklen Aufgabe betraut worden war, hatte es geschafft, einen Grundriss zu entwickeln, in dem, wie Mademoiselle nach ihrem ersten Besuch lobend erwähnte, »alles gleichwertig und wohlbemessen ist«.
Zwar lag die Fasaneninsel nicht genau in der Mitte des Flusses, sondern ein
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