Angélique - Am Hof des Königs
zusammentraf.
Erinnerte sich Ludwig noch an die entsetzliche Szene, die er und sein Bruder, der damals noch so klein war, dass er nicht einmal laufen konnte, als Kinder miterlebt hatten? Der große Kardinal Richelieu war zu ihrer Mutter gekommen und hatte ihr vorgeworfen, ihre Kinder in der Sprache des Feindes aufzuziehen. Er hatte gedroht, sie ihr wegzunehmen.
Ludwig würde den Anblick nie vergessen: Seine Mutter, die vor Richelieu auf den Knien lag und ihn unter Tränen und mit aneinandergelegten Händen anflehte, sie ihr zu lassen.
Der Kardinal, der seine Herrscherin mit wölfischem Blick musterte, voller Verachtung und Hass für diese Frau, die sich unaufhörlich mit allen Schwachköpfen des Königreichs- den Chevreuses, den de Lorraines, Gaston d’Orléans – gegen ihn und den König verbündete, sie mit ihrem Bruder, dem König von Spanien, betrog und das auf wackligen Füßen stehende, immer wieder aufs Neue in Angriff genommene Werk, Frankreich vor feindlichen Invasionen zu schützen, zerstörte. Hatte er sie endlich zur Vernunft gebracht? Er bedauerte, dass sie nicht intelligent genug
war, um sie zu seiner Komplizin zu machen, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sie mit einer entsetzlichen Angst zu lähmen: dass man ihr ihre Kinder wegnehmen könne.
Die schlimmste aller Drohungen! Die schlimmste aller Strafen! Ihre Kinder, ihr Ein und Alles, ihre lang ersehnten Lieblinge!
Ihre beiden durch Gottes Gnade geborenen Söhne. Ihr ganzes Glück! Ihr Leben! Sie versprach. Sie schwor. Sie würde nie wieder Spanisch mit ihnen sprechen!
Natürlich hatte sie es doch getan. Die Beharrlichkeit, mit der sie sich ihrem ärgsten Feind widersetzte, kannte keine Grenzen.
Und dann war Kardinal Richelieu gestorben. Fast ein Jahr vor Ludwig XIII., dessen Königreich er beschützt und gefestigt hatte.
Selbst ein großer Kardinal musste irgendwann sterben.
Er machte einem anderen Kardinal Platz, einem Italiener mit samtenen Augen und schmeichelnder Stimme. An der Seite einer Regentin, die Rat, Trost und Liebe brauchte.
»Man sieht, dass spanisches Blut in seinen Adern fließt«, sagte Mademoiselle zu Angélique. »Er beherrscht sich zwar, wenn er zornig ist, aber seine Haut wird gelblich. Ludwig ist außer sich vor Wut. Was soll das ganze Getue überhaupt?«, klagte sie. »Der König von Frankreich muss ans Ufer des Bidassoa reiten, aber er hat nicht das Recht, vor seine eigene Gemahlin zu treten, damit sie einander aus der Nähe betrachten können. Das ist ein Kriegsgrund, sagt er. Ich bin mir sicher, dass er etwas ausheckt.«
In Fuenterrabía stiegen König Philipp IV. und Maria Theresia gegen drei Uhr in eine Karosse, um sich, gefolgt von einer kleinen Schar Diener, zur Anlegestelle zu begeben.
Dort erwarteten sie zwei Boote, die der Baron de Watteville vor Ort hatte bauen lassen.
Das Boot des Königs und seiner Tochter war über und über vergoldet. Backbord wehte die königliche Standarte, und am Ende des Hecks ritt ein kleiner Amor auf einem halb löwen-, halb schlangengestaltigen Mischwesen. Das Heck selbst war mit einer Darstellung vom Sturz des Phaethon bemalt worden, und über diesem Bild hatte man die Bootslaterne aufgepflanzt, flankiert von jeweils zwei goldenen Blumenornamenten.
Über einem quadratischen Aufbau auf dem Achterdeck erhob sich ein Dach aus kunstvoll geschnitzten, vergoldeten Strahlen, die Seitenwände waren mit einem weißen, mit Goldfaden durchwirkten Brokatstoff bespannt, und die Glasfenster konnten »heruntergeschoben werden wie bei einer Karosse«. Die untere Hälfte des Aufbaus war mit der Darstellung verschiedener Fabeln bemalt worden, und in seinem Inneren »sah man selbst auf den Stühlen des Königs und seiner Tochter nichts als Brokat«.
Das zweite Boot sah genau gleich aus, und beide wurden von drei Ruderbooten gezogen, deren Besatzung in karminroten Damast gekleidet war.
Im Boot der Herrscher nahmen die Camarera mayor Gräfin de Priego, Erste Hofdame der Infantin, der Marqués de Orani, Erster Edelmann ihres Haushalts, und der Baron de Watteville Platz; in dem anderen Don Luis de Haro mit den Offizieren der königlichen Kammer und einigen anderen Adligen aus dem Gefolge von Philipp IV.
Und obwohl man sich bemühte, die Zahl der Beteiligten zu begrenzen, näherte sich eine ganze Flotte von Booten der Insel, während am Ufer die Einwohner von Irún applaudierten und mit Musketen Salutschüsse abfeuerten, als sie vorbeikamen. Auf mehreren Booten, die
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