Angelique Der Gefangene von Notre Dame
Saint-Germain ausgestellt wurden oder mit dressierten Bären auftraten. Anfangs hatte Kouassi-Ba keine Lust gehabt, bei ihnen zu bleiben. Er fürchtete sich vor den Bären. Aber sie waren gute Kameraden. Und die Bären auch. Trotzdem hatte er sie verlassen müssen, um sich unauffällig auf die Suche nach Angélique zu machen.
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Nachdem er geendet hatte, zog er ein kleines Körbchen unter seinen zerrissenen Kleidern hervor, kniete vor Florimond nieder und reichte ihm zwei kleine weiche Brötchen, die »Schafsbrote«
genannt wurden und deren Kruste mit Eigelb vergoldet und mit Weizenkörnern bestreut war. Sie dufteten köstlich.
»Womit hast du das gekauft?«
»Ich habe sie nicht gekauft. Ich bin in den Bäckerladen gegangen und habe so gemacht« â er schnitt eine furchterregende Grimasse -, »da haben sich die Dame und das Mädchen unter dem Ladentisch versteckt, und ich habe die Kuchen genommen, um sie meinem kleinen Herrn mitzubringen.«
»Mein Gott!«, seufzte Angélique fassungslos.
»Wenn ich meinen groÃen krummen Säbel hätte...«
»Den habe ich an den Trödler verkauft«, warf sie hastig ein.
Sie fragte sich, ob nicht die Häscher der Stadtwache Kouassi-Ba auf den Fersen waren und ihn bis zum Tor des Temple verfolgt hatten. Sie glaubte sogar, drauÃen Lärm zu hören. Als sie ans Fenster trat, entdeckte sie eine Menschentraube, die sich vor dem Haus gebildet hatte. Ein dunkel gekleideter Mann von würdevollem ÃuÃeren sprach mit der Witwe Cordeau. Angélique öffnete das Fenster einen Spalt und versuchte zu hören, worum es ging.
»Da oben bei Euch soll ein schwarzer Mann sein?«, rief die Witwe Cordeau zu ihr herauf.
Angélique eilte nach unten.
»Das stimmt, Madame Cordeau. Es handelt sich um einen Mohren, einen... einen ehemaligen Dienstboten. Er ist ein sehr anständiger Bursche.«
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Der würdevolle Mann stellte sich ihr daraufhin als der Amtmann des Temple vor, der vom GroÃprior mit der Ausübung der hohen, mittleren und niederen Gerichtsbarkeit innerhalb der Mauern betraut sei. Er sagte, er könne unmöglich einen Mohren im Temple dulden, zumal man ihm berichtet habe, dass dieser wie ein Bettler gekleidet sei.
Nachdem Angélique eine ganze Weile mit ihm verhandelt
hatte, sicherte sie ihm zu, dass Kouassi-Ba den Bezirk vor Einbruch der Dunkelheit wieder verlassen würde.
Betrübt ging sie wieder hinauf.
»Was soll ich nur mit dir machen, mein armer Kouassi-Ba? Deine Anwesenheit hier hat einen wahren Aufstand ausgelöst. AuÃerdem habe ich nicht mehr genug Geld, um dich zu ernähren und zu unterhalten. Ach je, du bist Luxus gewohnt! Und dass es dir an nichts fehlt...«
»Verkauf mich, Médême.«
Als sie ihn verblüfft anstarrte, fügte er hinzu: »Der Graf hat mich in Narbonne für viel Geld gekauft, und damals war ich noch klein. Jetzt bin ich mindestens tausend Livres wert. Dann hast du viel Geld, um meinen Herrn aus dem Gefängnis zu holen.«
Angélique sagte sich, dass er recht hatte. Im Grunde war Kouassi-Ba das Einzige, was ihr von ihrem früheren Vermögen noch geblieben war. Es widerstrebte ihr, ihn zu verkaufen, aber wäre das nicht die beste Lösung, um eine Zuflucht für diesen armen Wilden zu finden, der unversehens in diese verworfene zivilisierte Welt geraten war? Er hatte stark abgenommen.
»Komm morgen wieder«, wies sie ihn an. »Bis dahin habe ich eine Lösung gefunden. Und sieh zu, dass du dich nicht von den Stadtwachen erwischen lässt.«
»Ich weià schon, wie ich mich verstecke. Ich habe viele Freunde in dieser Stadt. Ich mache so, und dann sagen die Freunde: âºDu gehörst zu unsâ¹, und nehmen mich mit in ihre Häuser.«
Er zeigte ihr, wie man die Finger auf eine bestimmte Weise überkreuzen musste, um von diesen Freunden erkannt zu werden.
Sie gab ihm eine Decke und sah ihm nach, als sich die groÃe, magere Gestalt durch den Regen entfernte. Gleich nachdem er fort war, beschloss sie, zu ihrem Bruder zu gehen und ihn um
Rat zu fragen. Aber der ehrwürdige Pater de Sancé war nicht da.
In Gedanken versunken, kehrte Angélique zurück, als ein junger Bursche mit einem Violinenkasten unter dem Arm sie, von Pfütze zu Pfütze springend, überholte.
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»Giovani!«
Das war offensichtlich der Tag der Wiedersehen! Sie zog den jungen Musiker in
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