Angelique Der Gefangene von Notre Dame
äuÃern. Sie brannte darauf, ihn nach seinem Namen zu fragen, doch ihre Begleiterin berührte sie leicht an der Hand, um sie zur Zurückhaltung zu mahnen.
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»Wenn seine Standesgenossen ihn wirklich aus dem Weg räumen wollten, gäbe es dafür doch einfachere Wege, als ein Gericht zu bemühen«, flüsterte der Nachbar des Mannes im Pelzkragen, nachdem er sich rasch umgeschaut hatte.
»Aber sie müssen auch das Volk zufriedenstellen und hin und wieder beweisen, dass der König auch die Mächtigen zur Verantwortung zieht.«
»Wenn Eure Vermutung zuträfe, Maître Gallemand, dass dieser Mann durch den Prozess öffentlich angeprangert werden soll, um die Gier des Volkes zu befriedigen, wie es schon Nero zu tun pflegte, dann hätte man doch eine groÃe öffentliche Verhandlung angeordnet und das Volk nicht davon ausgeschlossen«, widersprach der junge Hitzkopf.
»Man sieht, dass du noch keine Erfahrung in diesem schmutzigen Geschäft hast«, entgegnete der berühmte Advokat, vor dessen scharfem Witz der gesamte Justizpalast zitterte, wie Desgrez behauptet hatte. »Bei einer öffentlichen Verhandlung besteht immer die Gefahr eines Aufruhrs, denn das Volk ist gefühlvoll und beileibe nicht so dumm, wie es den Anschein hat. Aber unser König ist bereits sehr klug, was solche Verfahrensfragen angeht. Seine gröÃte Sorge ist, die Dinge könnten sich bei uns genauso entwickeln wie in England, wo das Volk kurzerhand den Kopf des Königs auf den Richtblock gelegt hat. Also bringt man hier diejenigen, die eine eigene, störende Meinung vertreten, sanft und ohne groÃes Aufsehen zum Schweigen. Und anschlieÃend wirft man ihren noch zuckenden Leichnam den niedersten Instinkten des Pöbels zum Fraà vor. Man beschuldigt die einfachen Leute der Bestialität. Die Priester sprechen von der Notwendigkeit, ihrer schändlichsten Gelüste Herr zu werden, und natürlich wird vorher und nachher eine Messe gelesen. Die Rädelsführer verschwinden. Man wird nie erfahren, wer sie waren und woher sie kamen.«
»Die Kirche ist nicht verantwortlich für solche Ausschreitungen«, protestierte der Kaplan, indem er sich zu den Plaudernden vorbeugte. »Ich möchte sogar feststellen, Messieurs, dass heutzutage viel zu oft Laien ohne jegliche Kenntnis des kanonischen Rechts sich anmaÃen, an die Stelle des göttlichen Gesetzes zu treten. Und ich glaube, ich kann Euch versichern, dass die meisten Geistlichen, die Ihr hier seht, tief besorgt sind über den fortschreitenden Ãbergriff der weltlichen Macht auf kirchliches
Recht. Ich komme gerade aus Rom zurück, wo ich mit eigenen Augen gesehen habe, wie sich die Gebäude unserer Botschaft im Vatikan nach und nach in eine Zufluchtsstätte für die schlimmsten Schurken verwandeln. Der Heilige Vater selbst ist nicht mehr Herr in seiner Stadt, denn unser König hat nicht gezögert, zur Klärung dieser Unstimmigkeit Soldaten zu schicken, die die Wachen seiner Botschaft verstärken. Diese haben Befehl, auf die Truppen des Papstes zu schieÃen, falls diese zur Tat schreiten sollten, das heiÃt, wenn sie die italienischen und Schweizer Räuber und Diebe ergreifen, die sich in die französische Botschaft geflüchtet haben.«
»Aber das Hoheitsrecht einer ausländischen Botschaft muss unverletzbar bleiben«, entgegnete ein alter Bürger vorsichtig.
»Natürlich. Sie darf im Gegenzug aber auch nicht zum Zufluchtsort für das ganze Gesindel von Rom werden und sich an Bestrebungen beteiligen, die Einheit der Kirche zu zerstören.«
»Und genauso wenig darf die Kirche die Einheit des französischen Staates antasten, die vom König verteidigt wird«, versetzte der alte Bürger starrsinnig.
Die Umsitzenden schauten ihn an und schienen sich zu fragen, weshalb er überhaupt hier war. Die meisten wandten sich mit zweifelnder Miene ab und bereuten offensichtlich ihre gewagten ÃuÃerungen in Gegenwart eines Unbekannten, bei dem es sich womöglich um einen Spion des Königlichen Rates handelte.
Nur Maître Gallemand musterte ihn ruhig und antwortete: »Nun denn, Monsieur, verfolgt nur aufmerksam diesen Prozess, dann werdet Ihr zweifellos einen kleinen Aspekt des groÃen und sehr realen Konflikts zwischen dem König und der Römischen Kirche beobachten können.«
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Angélique lauschte diesem Wortwechsel erschreckt.
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