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Angélique - In den Gassen von Paris

Angélique - In den Gassen von Paris

Titel: Angélique - In den Gassen von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Golon
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Sie begriff, dass er dieses Mal fest entschlossen war, seine Gelegenheit weidlich auszukosten, und schloss die Augen.
    Angélique hatte sich ohnehin vorgenommen, die Minuten zu vergessen, die nun folgen mussten.
    Doch es war gar nicht so schlimm, wie sie sich vorgestellt hatte. Der Menschenfresser war nicht bösartig. Eher war es so, dass der Mann sich seines Gewichts und seiner Kraft gar nicht bewusst war, doch trotz seiner Masse, die sie halb erdrückte, musste Angélique sich eingestehen, dass sie in den Armen dieses kräftigen und unermüdlichen Kolosses beinahe Lust empfunden hätte.
     
    Während der Hauptmann sich anzog, brummte er einen Marsch vor sich hin.

    »Sapperlot«, sagte er immer wieder, »das hat aber Spaß gemacht. Und dabei hast du mir zuerst Angst eingejagt …«
    Der Bader des Châtelet trat ein, bewaffnet mit seiner Rasierschale und seinen Messern.
     
    Angélique zog sich an, während ihr massiger Liebhaber einer Nacht sich ein Tuch um den Hals binden und das Gesicht einschäumen ließ. Noch immer gab er wortreich seiner Zufriedenheit Ausdruck.
    »Wie du gesagt hast, Barbier! Frisch wie eine Rose!«
    Angélique hatte keine Ahnung, wie sie sich verabschieden sollte. Mit einem Mal warf der Hauptmann einen Geldbeutel auf den Tisch.
    »Für dich.«
    »Ich bin schon bezahlt worden.«
    »Nimm«, brüllte der Hauptmann, »und mach dich dann vom Acker.«
    Das ließ Angélique sich nicht zweimal sagen. Nachdem sie das Châtelet verlassen hatte, fand sie nicht gleich den Mut, in die Rue de la Vallée-de-Misère zurückzukehren. Zu nahe lag ihre Unterkunft bei dem schrecklichen Gefängnis. Stattdessen ging sie zur Seine hinunter. Am Quai des Morfondus hatten die Schifferfrauen während des Sommers Bäder für Frauen eingerichtet. Seit alter Zeit verbrachten Pariser und Pariserinnen die drei heißen Monate des Jahres damit, in der Seine zu planschen. Die Bäder bestanden aus ein paar Pfählen, die mit einer Plane verkleidet waren, und die Frauen stiegen, angetan mit Hemd und Haube, hinein.
    Die Schifferin, bei der Angélique ihren Eintrittspreis entrichten wollte, schrie empört auf.
    »Du bist ja verrückt, um diese Zeit baden zu wollen. Das Wasser ist eiskalt.«
    »Das macht nichts.«

     
    Das Wasser war in der Tat kalt. Aber nachdem Angélique kurz mit den Zähnen geklappert hatte, fand sie es angenehm. Da sie der einzige Gast war, streifte sie ihr Hemd ab und machte zwischen den Pfählen ein paar Schwimmzüge. Nachdem sie sich abgetrocknet und wieder angekleidet hatte, ging sie noch ein Weilchen am Seine-Ufer entlang und genoss den warmen Herbstsonnenschein.
    Eine Obsthändlerin, die ihren Stand aufbaute, schenkte ihr einen Korb voll mit runzligen, braunen und gelben Äpfelchen.
    »Hier, meine Schöne. Nimm nur. Die kauft mir niemand mehr ab. Und dabei kann ich dir versprechen, dass es nichts Besseres gibt als diese kleinen Winteräpfel! Nimm sie, damit deine Lebensgeister wieder erwachen. Den Korb darfst du ruhig behalten.«
    Die Frau sah ihr nach.
    »Du bist wahrhaftig schön wie eine Prinzessin«, meinte sie dann nachdenklich.
     
    In Gedanken versunken, verzehrte Angélique egoistisch in einer Ecke am Kai alle Äpfel.
    Ihr Duft und ihr festes und doch zartes Fruchtfleisch kamen ihr vor wie ein ganz außerordentlicher Leckerbissen. Dann ging sie weiter und fand sich am Pont-Neuf wieder, der zu dieser Morgenstunde seltsam verlassen dalag. Sie blieb stehen und atmete ein wenig ängstlich, aber auch zufrieden, tief die Luft ein.
    Der Wind, der von der Seine heranwehte, drückte ihren Lippen eine feuchte Liebkosung auf. Am Himmel hingen noch dichte Wolken, aber die Sonne durchdrang sie bereits, und am pastellfarbenen Horizont des Flusses zeichnete sich die bezaubernde Silhouette der Umgebung von Paris ab: Wälder und Wiesen, Mühlen und neu errichtete, weiße Gebäude.
    Angéliques Blick glitt über die vertraute Umgebung und erfasste den Justizpalast, der den Schatten seiner Türme über den Pont-Neuf warf und Erinnerungen in ihr wachrief. Doch sie blieben unbestimmt. Sie fühlte sich wohl und sicher. Der Gedanke ging ihr durch den Kopf, dass sie mit dem Korb in der Hand weniger verdächtig wirkte. Langsam trat sie wieder in die Welt der Lebenden ein.
    War Calembredaine, der illustre Haderlump vom Pont-Neuf, tatsächlich verschwunden? Wo war er? Ertrunken? Gehenkt?
    Starren Blickes schaute sie in die langsam fließenden, blaugrauen Wasser der Seine. Sie fühlte nichts. Ja, sie gestand sich sogar ein,

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