Angels - Meine Rache waehrt ewig
haben. Der Abstand zur Stadt gab ihm und Olivia ein wenig inneren Frieden, ein kleine Auszeit von dem Chaos, das in New Orleans geherrscht hatte.
Olivia besaß noch immer ihren Laden, das Third Eye in unmittelbarer Nähe des Jackson Square, wo sie Modeschmuck, Kunstgegenstände und New-Age-Kram an Touristen verkaufte. Der Laden hatte keinen ernsthaften Schaden genommen, aber der Platz selbst hatte sich verändert, und das Geschäft mit den Touristen lief nur langsam wieder an. Die Tarotkartenleger und die lebenden Statuen, sogar viele der Straßenmusiker waren nach dem Wirbelsturm nicht mehr zurückgekehrt. Etliche von ihnen hatten ihr Zuhause verloren.
»Sei nicht so ein Pessimist, Bentz«, zog Olivia Rick jetzt auf, und er nahm grummelnd das Glas und stieß mit ihr an. »Frohes neues Jahr.« Ihre Augen, die die Farbe von altem Whiskey hatten, glänzten, und unbändige blonde Locken umrahmten ihr Gesicht. Sie war seit ihrer Hochzeit ein wenig gealtert, aber die Falten in den Augenwinkeln minderten ihre Schönheit nicht. Olivia bestand darauf, dass sie ihr Charakter verliehen. Trotzdem ging auch eine gewisse Schwermut von ihr aus. Es war ihnen nie gelungen, ein Kind zu bekommen, und mittlerweile hatte Rick Bentz das Interesse daran verloren. Kristi war Ende zwanzig, und noch einmal ganz von vorn zu beginnen, kam ihm unnötig, sogar töricht vor. Er wäre immerhin über sechzig, wenn das Kind die Highschool beendet hätte!
Nur dass sich Olivia ein Kind wünschte. Und eine verdammt gute Mutter sein würde.
»Ich bin kein Pessimist«, korrigierte er sie. Hairy S., Olivias Terrier, kam hereinspaziert und sprang auf Bentz’ La-Z-Boy-Sessel, von wo aus er sie unter seinen buschigen Augenbrauen her betrachtete. »Ich bin ein Realist.«
»Und der ›Das-Glas-ist-halb-leer‹-Typ.«
Er nahm einen Schluck und hielt das Glas dann ins Licht. »Nun, das stimmt ja auch. Es ist halb leer.«
»Und du bist krank vor Sorge um Kristi.«
»Ich dachte, du hättest es nicht gemerkt.«
»Du bist ein Wrack, seit sie ausgezogen ist.« Olivia setzte sich auf seinen Schoß und legte ihm einen Arm um die Schulter. Dann lehnte sie ihre Stirn an seine. »Es wird ihr schon gutgehen. Sie ist ein großes Mädchen.«
»Sie wäre fast umgebracht worden … musste zweimal wiederbelebt werden. War beinahe klinisch tot.«
»Beinahe«, betonte Olivia. »Sie hat überlebt. Sie ist stark.«
Er dehnte seinen verspannten Nacken und atmete Olivias Duft ein. Hairy winselte von seinem Sessel aus, als wollte er zu ihnen kommen. »Ich fürchte bloß, sie ist nicht stark genug.«
»Du bist ihr Vater. Sie ist tough genug.« Olivia nahm einen kräftigen Schluck aus ihrem Glas und drehte den Stiel. »Lust auf ein kleines Spielchen?«
»Jetzt?«
»Ja. Du gibst den großen, starken Detective, und ich bin die –«
»… die Verrückte, die die Gedanken eines Mörders lesen kann?«
»Ich wollte sagen, ich bin eine kleine, schwache Frau.«
Er hatte gerade sein Glas an die Lippen gehoben und verschluckte sich fast. »Den Tag möchte ich erleben.« Aber er küsste seine Frau und spürte die vertraute Wärme ihrer Lippen, die mit seinen verschmolzen. Ein altes Liebespaar, das noch Feuer in den Lenden hatte.
Sein Handy vibrierte laut und schlitterte über den Schreibtisch.
»Verdammt«, flüstere Olivia.
Er griff danach und schaute auf das Display. »Montoya«, sagte er dann. »Keine Zeit für verruchte Spielchen.«
»Ich werde dich daran erinnern, wenn du wieder hier bist«, sagte sie. Er grinste und hielt sich das Handy ans Ohr. »Bentz.«
»Frohes neues Jahr«, sagte Montoya.
»Dir auch.« Es hörte sich an, als säße Montoya schon im Wagen und raste durch die Straßen der Stadt.
»Wir haben eine Leiche unten am Wasser. Sieht nach einer Party mit bösem Ende aus. Nicht weit vom Kasino. Ich bin in fünfzehn Minuten da.«
»Bin schon unterwegs«, sagte Bentz und verspürte einen Anflug von Bedauern, als er die Enttäuschung in Olivias Augen sah. Er unterbrach die Verbindung und setzte zu einer Erklärung an, aber Olivia legte ihm einen Finger auf die Lippen.
»Ich werde auf dich warten«, sagte sie. »Weck mich.«
»Alles klar.«
Rick suchte seine Jacke, die Schlüssel, die Brieftasche und die Dienstmarke zusammen, sorgte dafür, dass Hairy S. im Haus blieb, und ging nach draußen zu seinem alten Jeep, den er immer wieder in Zahlung zu geben drohte. Bislang hatte er es jedoch nicht übers Herz gebracht und auch nicht die Zeit dazu gehabt. Er
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