ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
für dich tun?«
Er dachte darüber nach und die Antwort ängstigte ihn. Wer in der Welt da draußen konnte ihm helfen? Gab es irgendjemanden, der sein Leben wieder richten konnte?
»Nein«, sagte er leise.
»Genau. Primen stehen allein da. Wir sind Inseln. Wir müssen lernen, dass wir mit den anderen nichts gemein haben.«
Bill blickte starr geradeaus auf die Straße und dachte: Lisl, du willst keine Insel sein. Ich weiß, wie das ist. Ich bin seit fünf Jahren eine Insel, und es ist die Hölle.
Und dann stieß ihm etwas, was sie gesagt hatte, sauer auf.
»Primen? Sagtest du Primen? Was soll das sein?«
Dann setzte sie an zu einer begeisterten Abhandlung über Primen und ›andere‹, immer wieder unterbrochen von der Phrase »Rafe sagt«.
»Was für ein Haufen elitärer Scheiße!«, sagte Bill, als sie geendet hatte. »Glaubt Rafe diesen Quatsch wirklich?«
»Natürlich. Und es ist kein Quatsch. Das ist deine kulturelle Konditionierung, die aus dir spricht. Rafe sagt …«
»Es spielt keine Rolle, was Rafe sagt. Was sagt Lisl dazu?«
»Lisl sagt das Gleiche. Du und ich und so viele andere sind dazu konditioniert worden, zu verleugnen, was wir wirklich sind, damit man uns leichter benutzen kann. Wenn du dich umsiehst, wenn du dir die Welt genau ansiehst, dann wirst du feststellen, dass das stimmt.«
Bill starrte sie an.
»Was ist nur los mit dir, Lise?«
Sie drehte sich mit wutverzerrtem Gesicht zu ihm um.
»Sag das nie wieder zu mir! Das haben meine Eltern immer gesagt und ich will das nie wieder hören!«
»Schon gut!«, sagte Bill beschwichtigend, verblüfft über diesen Ausbruch. »Ganz ruhig bleiben. Ich bin nicht deine Eltern.«
Er verbrachte den Rest der Heimfahrt damit, zu versuchen, die Fehlerhaftigkeit von Rafes pervertiertem Egoismus aufzuzeigen und zu erklären, dass Egoismus an sich nicht schlecht war, aber wenn er sich weigerte, die Rechte der anderen Menschen um sich herum anzuerkennen, dann fehlte dem Resultat nicht nur die Logik, sondern auch das Mitgefühl.
Aber Lisl wollte nichts davon hören. Sie hatte sich vollkommen auf Rafes Philosophie eingelassen.
Langsam breitete sich eine tiefe Unruhe in Bill aus.
Was ging hier vor? Es war fast, als hätte Rafe Lisl einer Gehirnwäsche unterzogen – direkt vor Bills Nase.
Er erkannte, wie das passiert war. Jemand, der so verletzlich war wie Lisl, war ein ideales Opfer. Ein schwaches Selbstbewusstsein, emotional angeschlagen, und plötzlich kommt da dieser ungemein gutaussehende junge Mann daher und erzählt ihr, dass sie gar nicht das hässliche Entlein ist, als das sie selbst sich immer gesehen hat, sondern ein Schwan. Ein bisschen Liebe und Zuneigung um die tiefen emotionalen Verletzungen nach der Scheidung zu kitten, ein bisschen Wärme, ein bisschen Geduld und Lisl gab sich ihm hin.
Aber sie körperlich zu besitzen reichte ihm offenbar nicht. Er hatte sich vorgenommen, auch ihren Verstand zu verführen. Sobald ihre Verteidigungsschilde zusammengebrochen waren, begann er das Vakuum ihrer Werte-losen Erziehung zu füllen, und flüsterte ihr eine kranke Philosophie ein, die ihr einen einfachen Weg zu dem Selbstwertgefühl versprach, das ihr ihr gesamtes Leben lang vorenthalten worden war. Aber es war ein falsches Selbstbewusstsein, erworben auf Kosten anderer. Und während er Lisl so umgemodelt hatte, war Rafe für sie zur Sonne geworden. Sie kreiste nun um ihn, ihr Gesicht ihm zugewandt, immer nur ihm.
Als sie die Stadt erreichten, bat Lisl Bill, sie an dem Parkplatz im Zentrum abzusetzen, wo sie ihren Wagen abgestellt hatte.
»Danke für die Spazierfahrt, Will. Das war schön. Aber du und Rafe, ihr müsst euch bald mal treffen. Er wird dir die Augen öffnen. Warte es nur ab – das wird das Beste sein, was dir je passiert ist.«
Sie winkte, dann drehte sie sich um und steuerte auf ihr Auto zu. Bill fühlte sich unendlich traurig, als er ihr nachsah.
Ich verliere sie.
Nicht ihren Körper, nicht ihre Liebe – das waren nicht die relevanten Dinge für Bill, was Lisl betraf –, sondern ihren Verstand, ihre Seele.
Rafe. Was tat er ihr an? Sein Handeln hier schien beinahe – unheilvoll. Aber das war wohl Bills latenter Verfolgswahn, der sich da zu Wort meldete. Es gab keinen Plan. Rafe zog Lisl einfach nur in seine gestörte Sicht der Dinge hinein. Gestörte Menschen neigen dazu.
Aber indem er das tat, machte er Bills einzige Freundin auf der Welt zu einer Fremden. Bill konnte das nicht zulassen. Lisl war zu unschuldig, im
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