ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
Grunde ihres Herzens eine zu anständige Person, als dass er sich einfach zurücklehnen und zusehen konnte, wie alles, was gut in ihr war, vom schwarzen Loch einer Weltanschauung wie der von Rafe aufgesogen wurde.
Er musste ihr helfen, sich dagegen zu wehren, selbst wenn sie das nicht wollte.
Bill wusste, er traf sehr spät auf dem Schlachtfeld ein. Bis heute hatte er nicht einmal gewusst, dass eine Schlacht geschlagen wurde. Aber er konnte nicht länger abseits stehen.
Als Erstes musste er etwas mehr über diesen Rafe Losmara in Erfahrung bringen.
XX
1.
Everett Sanders saß allein in seinem Büro und kaute seine zwanzigste helle Weintraube. Es war ihm heute nicht gelungen, schöne Birnen zu bekommen, also hatte er sich für die Weintrauben entschieden. Er faltete den Ziploc-Beutel zusammen, in dem er die Trauben mitgebracht hatte, und schob ihn in die braune Papiertüte für sein Mittagessen. Dann verstaute er die in seiner Aktentasche.
So. Das Mittagessen war beendet. Zeit für Zigarette Nummer Sechs. Er zündete sie an und griff nach dem Roman der Woche. Ein Klassiker diesmal: Das Scarlatti-Erbe von Robert Ludlum. Er gefiel ihm außerordentlich; so gut, dass er gestern Abend deutlich mehr als seine notwendige Anzahl von Seiten gelesen hatte. Er zog das kleine Notizbuch aus seiner Brusttasche. Ja. Da war es. Der Eintrag der letzten Nacht. Er hatte sein heutiges Quantum bereits gelesen, bevor er schließlich das Licht ausgemacht hatte.
Was Everett in eine Zwickmühle brachte: Wenn er jetzt während der Mittagspause weiterlas, käme er noch weiter voran und dann bestand die Möglichkeit, dass er am Sonntag nichts mehr zu lesen hatte. Natürlich könnte er dann schon vorzeitig mit dem Buch der nächsten Woche anfangen – das er für gewöhnlich zum ersten Mal am Sonntagnachmittag aufschlug –, aber damit würde alles in der nächsten Woche aus dem Gleichgewicht kommen und unter Umständen war er daraufhin am nächsten Wochenende mit einem noch größeren Problem konfrontiert.
Ein sich aufschaukelndes Problem. Vielleicht wäre ihm mit einem Buch mit Kurzgeschichten gedient … er konnte sich ein paar zu Gemüte führen, wenn es notwendig war und –
Nein. Ihm gefielen Romane, und Romane würde er lesen.
Warum nicht heute ganz auf das Lesen verzichten? Schließlich war es Mittwoch und heute Abend war das Treffen. Wenn er ein bisschen länger blieb, konnte er nach Hause kommen und sofort zu seiner üblichen Zeit um 23:30 Uhr ins Bett gehen, unmittelbar nach den Spätnachrichten. Er musste jetzt nur noch eine Möglichkeit finden, seine Mittagspause auszufüllen, und alles war wieder im Lot.
Aber er hatte keinen Ersatzplan für die Mittagspause. Das bedeutete freie Zeit. Ev mochte keine freie Zeit. Das war nicht gut für ihn. Er wusste aus früherer Erfahrung, wenn er seinen Gedanken die Zügel schießen ließ, dann gingen sie in die falsche Richtung.
Er war versucht, seinen Rechner anzuschalten und an dem Artikel für Palo Alto zu arbeiten, aber dafür hatte er eine andere Zeit des Tages vorgesehen. Das konnte er nicht jetzt tun.
Er verspürte die ersten Anzeichen von Nervosität.
Er ging zum Fenster und sah hinaus, dahin, wo Lisl sonst ihr Mittagessen eingenommen hatte. Er hatte sie schon länger nicht mehr mit dem Gärtner gesehen. Vielleicht war es zu kalt, um draußen zu essen.
Während er seine Zigarette rauchte und auf den verwaisten Hügel hinausstarrte, begann er einen anderen Grund zu fühlen, warum er beschäftigungslose Zeit hasste: Einsamkeit. Ein ausgefüllter Tag ließ keine Zeit, um über die Leere seiner Existenz nachzudenken.
Und die ist schon leer, oder?
Er seufzte, als er den letzten Zug seiner Zigarette ausatmete. Aber so musste es sein, zumindest jetzt. Vielleicht wäre er in ein paar Jahren, falls er die richtige Person fand, jemanden, der ihn verstand und akzeptierte, in der Lage, wieder eine Beziehung zu führen. Dann wäre er schon über die fünfundvierzig hinaus. Ziemlich spät, um da noch einmal ans Heiraten zu denken. Aber andere Menschen taten das die ganze Zeit, warum also nicht auch er?
Vielleicht, weil seine erste Ehe so schmerzvoll gewesen war. Die arme, unendlich leidende Diane – was hatte er ihr nur zugemutet. Sie hatte länger durchgehalten, als irgendjemand von ihr erwarten konnte, während ihre Ehe allmählich vor die Hunde gegangen war. Alles seinetwegen. Irgendwann hatte er vielleicht den Mut, es noch einmal zu versuchen, und es beim zweiten Mal richtig zu
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