ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
Herausforderung, vor allem dann nicht, wenn die von einer respektierten Kollegin wie Lisl kam.
Aber er würde absagen müssen. Eine Party dieser Art kam auf keinen Fall in Betracht.
Ihm fiel auf, dass die Feier nicht in Lisls Wohnung stattfand, sondern in diesem teuren neuen Wohnviertel, in Parkview. Wahrscheinlich war das die Wohnung von diesem Rafe Losmara, mit dem sie zusammen war.
Die arme Lisl. Sicherlich hielt sie sich für diskret und unauffällig, aber die ganze Fakultät redete über ihre Affäre mit einem reichen Doktoranden.
Ev fragte sich, was Rafe Losmara von ihr wollte. Es hieß, dass er auch einen brillanten Verstand besaß, vielleicht in dieser Beziehung Lisl sogar gewachsen war, aber er war fast zehn Jahre jünger als sie. Warum stellte er einer älteren Frau nach? Lisl konnte ihm bei seiner akademischen Karriere nicht von Nutzen sein – sie war an einer anderen Fakultät als er. Was hatte er also im Sinn?
Das geht mich nichts an, rügte er sich selbst.
Und vielleicht war das Lisl gegenüber auch nicht fair. Sie war eine attraktive Frau – wenigstens hatte Ev das immer so empfunden – und jetzt, wo sie abgenommen hatte, noch um einiges mehr. Es gab keinen Grund, warum die Männer nicht hinter ihr her sein sollten.
Was die Wette unter den anderen Fakultätsmitgliedern umso beleidigender machte. Als sie mit der Frage auf ihn zugekommen waren, ob er auch einen Tipp abgeben wolle, wie lange Lisls Liebschaft andauern werde, hatte er sie eisig abblitzen lassen. Er hätte eine Szene machen sollen, hätte Lisl informieren sollen, aber er hatte nicht den Nerv dazu und er wollte Lisl auch keine schmerzlichen Nachrichten überbringen.
Er hoffte, dass Lisl und Losmara lange Zeit zusammenblieben, nur um es den Dummköpfen in der Fakultät zu zeigen.
Aber was war mit dem Gärtner? Ev sah Lisl immer noch gelegentlich mit ihm zusammen zu Mittag essen. Er fragte sich, was der von ihrem Verhältnis mit Losmara hielt.
4.
Will Ryerson schob das Öffnen des Umschlags hinaus. Er wusste, was darin war. Er ließ ihn auf den Esstisch fallen und tigerte durch das Wohnzimmer des Hauses, das er seit zwei Jahren gemietet hatte. Das winzige Holzhaus war alt und feucht. Es stand auf einer Betonplatte, aber das hatte die Termiten nicht davon abgehalten, sich in den Wänden einzunisten. Er war sich sicher, dass er sie in manchen Nächten, wenn er allein in der Dunkelheit lag und nicht schlafen konnte, buchstäblich kauen hörte. Das Haus stand auf einem großen, baumbewachsenen Grundstück mitten in einem dichten Eichenwald. Er brauchte gar nicht vor die Haustür zu gehen, um zu merken, wann es Herbst wurde – das Prasseln der Eicheln auf sein Dach kündete immer den Einbruch der kalten Jahreszeit an.
Nichts im Haus gehörte Will, mit Ausnahme der Lebensmittel, der Bettwäsche und des Apple-Computers auf dem Tisch im Esszimmer. Er hatte das Haus komplett möbliert übernommen. Und dekoriert, wenn man das so nennen wollte. Der Vormieter hatte einen Straßenstand betrieben, in dem er auf Samt gemalte Bilder verkauft hatte. Dem Vermieter zufolge hatte er seine Miete nicht gezahlt, war eines Nachts einfach verschwunden und hatte einen Teil seiner Bestände zurückgelassen. Der Vermieter hatte ein paar der ansprechenderen Bilder für sich behalten und den Rest in dem Haus verteilt und die Wände damit buchstäblich zugehängt. Egal wohin Will blickte, überall waren schwarze Stoffbahnen, die mit grellen Farben beschmiert waren – gelbe Löwen, orange gestreifte Tiger, Clowns mit Tränen in den Augen, rot-weiße, sich aufbäumende Hengste, und viele verklärte Studien vom guten alten Elvis. Dem späten Elvis, dem Glitzerking des Rock ’n’ Roll in seinen weißen Anzügen mit den hohen Kragen.
Als er eingezogen war, hatte Will diese Sammlung als eine Zumutung empfunden, aber jetzt, nach zwei Jahren, hatte er sich daran gewöhnt. In letzter Zeit hatte er sich sogar dabei ertappt, dass ihm das eine oder andere davon gefiel. Das gab ihm zu denken.
Er hob den Briefumschlag wieder auf und starrte ihn an, ohne ihn zu öffnen.
Die Party.
In letzter Zeit redete Lisl von nichts anderem mehr. Und sie hörte auch nicht damit auf, ihm in den Ohren zu liegen, dass er kommen müsse. Sie betrachtete das als ihre große Chance, ihn mit Rafe Losmara zusammenzubringen. Rafe, Rafe, Rafe. Will konnte den Namen nicht mehr hören. Einerseits wollte er diesen Mann wirklich kennenlernen, der ihm so vollständig Lisls Herz gestohlen hatte.
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