ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
an seinem Bett wie eine Art Schutzengel, hielt seine Hand, redete mit ihm, las vor und betete in Ohren, die nicht zuhörten.
»Sie sagen, er habe den Verstand verloren«, erzählte Pater Bill Renny und Nick am Morgen des vierten Tages.
Dieser Nick war so eine Art Physikprofessor an der Columbia Universität und hässlich wie die Nacht. Er kam immer wieder und hatte dem Priester seit dem ersten Weihnachtstag beigestanden. Renny wusste bereits, dass auch der Professor ein Waisenkind in St. F’s gewesen war. Es tat gut zu sehen, wie ein Waisenkind es aus dem Nichts zu einem weltbekannten Wissenschaftler brachte. Und weil er wusste, dass sie beide aus St. F’s kamen, war der Prof in Rennys Augen in Ordnung.
Sie saßen jetzt zu dritt im Elternzimmer der Kinderabteilung, wo Danny in einem der wenigen Einzelzimmer lag, und tranken Kaffee. Das Licht des späten Vormittags strömte durch die großen Fensterscheiben und wurde von den Resten des weihnachtlichen Schnees auf den umliegenden Dächern reflektiert. Es erwärmte den Raum so stark, dass es schon fast unangenehm war.
»Das überrascht mich nicht«, sagte Nick. »Und das gilt bald auch für dich, wenn du dir nicht endlich etwas Ruhe gönnst.«
»Ich mach das schon.«
»Er hat recht, Pater«, sagte Renny. »Sie steuern direkt auf einen Zusammenbruch zu. Sie können so nicht weitermachen.«
Der Priester zuckte die Achseln. »Ich kann das alles wieder aufholen. Aber Danny … Wer weiß, wie viel Zeit ihm noch bleibt?«
Renny fragte sich, wie viel Zeit Pater Bill noch blieb, bevor er umfiel. Er sah furchtbar aus. Seine Augen waren völlig eingesunken, das Haar war vollkommen zerzaust, da er sich alle paar Minuten mit den Händen hindurchfuhr, und er musste sich mal rasieren. Er sah aus, als sei er aus der Ausnüchterungszelle entlaufen.
Und Renny fühlte sich ähnlich. Er hatte selbst nicht viel geschlafen. Er war seit Heiligabend fast immer auf den Beinen gewesen und Joanne gefiel das überhaupt nicht. Es war schon schlimm genug, dass er nicht zur Bescherung zu Hause gewesen war – da war es ganz gut, dass er keine Kinder hatte, sonst würde er jetzt wirklich in der Scheiße stecken –, aber er hatte auch noch das Weihnachtsessen bei den Schwiegereltern verpasst. Nicht, dass er seine Schwiegereltern nicht ausstehen konnte, die waren ganz okay, aber er hatte schwerwiegende dienstliche Probleme. Ein Verdächtiger in einem Mordversuch war auf seine Veranlassung hin verlegt worden und ein paar Stunden später hatte er nur noch einen Haufen stinkenden Schleim in seinem Gewahrsam.
Rennys Magen krampfte sich bei der Erinnerung zusammen. In den letzten drei Tagen hatte er die Szene in dem Krankenhausflur immer wieder vor seinem inneren Auge ablaufen lassen, aber egal wie oft er sich das vorstellte, er fand weder einen Sinn noch einen vernünftigen Grund für das, was sich da abgespielt hatte. Im einen Moment hatte er einen Gefangenen in seinem Gewahrsam, im nächsten nur noch eine klumpige, braune Flüssigkeit. Glücklicherweise gab es dafür Zeugen, sonst hätte ihm das niemand geglaubt. Verdammt, er war dabei gewesen und hatte alles gesehen und trotzdem glaubte er das selbst noch nicht so recht.
Und egal mit wem er redete, niemand lieferte ihm eine Erklärung. Keiner der Ärzte in der ganzen Klinik konnte sich einen Reim auf die MRT-Bilder oder die Röntgenaufnahmen machen, geschweige denn auf das, was schließlich mit Loms Körper passiert war. Es schien eine Art Verdrängung vorzuherrschen. Da sie es nicht erklären konnten, kehrten sie es einfach unter ihren geistigen Teppich. Er hatte unabsichtlich mitbekommen, wie eine der medizinischen Koryphäen irgendwas sagte wie: Nun, da das, was da angeblich passiert ist, schlicht unmöglich ist, müssen die Erinnerungen an das Ereignis logischerweise fehlerhaft sein. Wie kann man von uns erwarten, dass wir eine logische Antwort präsentieren, wenn unsere Ausgangsdaten fehlerhaft und unvollständig sind?
Im 112-ten sah man die Sache ganz anders. Das Revier hatte Renny einen Verdächtigen überstellt, und jetzt war der Verdächtige weg. Ein Haufen stinkender Schleim ließ sich nicht vor ein Gericht stellen. Also brauchten sie einen neuen Verdächtigen. Die Fahndung nach der verschwundenen Frau lief auf Hochtouren. Und Renaldo Augustino wusste, dass er sie präsentieren musste, wenn er im Revier noch irgendwann etwas werden wollte.
Fazit: Joanne sprach kaum noch mit ihm, seinen Namen nahm man im Revier besser nicht in
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