Angst
gerieten sie in einen sehr zähen Samstagnachmittagsverkehr. Einige Leute hatten den Kopf aus ihren Autos gesteckt und genossen den Wetterumschwung.
Dix fuhr von der Schnellstraße Richtung Innenstadt und arbeitete sich langsam zum Hauptquartier des Richmonder Police Departments in der West Grace Street vor.
»Der Straßenname hat irgendwie was Ironisches«, bemerkte Ruth.
Für einen Samstagnachmittag war auf dem Revier viel los, mehr als Dix seit seinen Tagen in New York gesehen hatte. Sie kamen an einer Frau vorbei, die sich die Hände vors Gesicht hielt und laut schluchzte, und einem Mann, der eine Schimpftirade über seinen angeblich betrügerischen Mechaniker vom Stapel ließ. Ein Cop füllte gerade einige Papiere aus, während neben ihm ein Teenager saß, der zu Tode erschrocken aussah. Dix ärgerte sich, dass er Rob und Rafe nicht bei Brewster im Wagen gelassen hatte, doch da kam Detective Morales bereits mit ausgestreckter Hand auf sie zu. Nach der Begrüßung führte der Detective sie in den ersten Stock. Er beäugte die Jungen und sprach leise in sein Handy.
Rafe flüsterte seinem Bruder zu: »Hey, schau dir mal diese Narbe an! Ist die nicht cool! Wette, die hat er von einer Schießerei!«
»Yep, ein paar kolumbianische Drogendealer hatten sich in einer Lagerhalle verschanzt«, sagte Detective Morales über die Schulter. »Als wir das Gebäude stürmten, habe ich ein Souvenir davongetragen.« Vorsichtig strich er mit dem Finger über die blasse Narbe. »Meine Frau findet sie auch ziemlich cool... Ach, Linus, diese beiden Teufelskerle sind Rob und Rafe Noble. Während ich mit ihrem Dad Sheriff Noble und Spezialagentin Warnecki rede, könntest du dich da für einen Augenblick von der Jagd auf Bankräuber losreißen und stattdessen die beiden durch unser hübsches Gebäude führen?«
Officer Linus Craig konnte nicht viel älter als zweiundzwanzig sein, dachte Ruth, als sie seine fleischige Hand schüttelte. Er musste fast zwei Meter groß sein und an seinen leichten Tagen wohl um die zweihundertfünfzig Pfund wiegen. Ruth hätte gewettet, dass er am College Football gespielt hatte, wahrscheinlich in der Position des Stürmers. Seine gebrochene Nase war ein wenig schief verheilt, und er hatte das netteste Lächeln, das ihr jemals untergekommen war. Linus bedachte Rob und Rafe mit einem Grinsen, schüttelte ihnen die Hand und beugte sich nahe zu ihnen hinab. »Wollt ihr beide den Identifizierungsraum sehen? Er befindet sich den Korridor runter bei den Detectives. Ich hänge euch eine Nummer um den Hals, dann bekommt ihr alles hautnah mit. Außerdem können wir feststellen, wie groß ihr seid.«
Die Jungen sahen sich nicht einmal mehr zu ihrem Vater um. Detective Morales, der schwarzes Haar und dunkle
Augen hatte und bei dem zu dieser Stunde bereits ein Bartschatten zu erkennen war, lachte, während er Dix und Ruth zu einem kleinen Konferenzzimmer am anderen Ende des Korridors führte. »Ich habe selbst drei Teenager zu Hause. Neulich wollten sie, dass ich sie über Nacht in eine Zelle stecke. Ich habe mich dann breitschlagen lassen, ihnen wenigstens eine Gegenüberstellung zu zeigen. Sie haben den ganzen Tag von nichts anderem mehr geredet.« Er öffnete die Tür zum Konferenzraum und bedeutete ihnen einzutreten.
»Hübsche Einrichtung haben Sie hier«, sagte Dix, als er eine Tasse Kaffee entgegennahm.
»Das Gebäude ist brandneu, wurde erst 2002 in Betrieb genommen. Hat nicht diesen Geruch von innerstädtischem Polizeirevier an sich, diese Mischung aus Feuchtigkeit, billigem Raumspray und Eau de kriminell. Jedenfalls noch nicht. Das war das Beste am Umzug. Und Sie sind also FBI-Agentin«, wandte er sich an Ruth, ohne eine Pause einzulegen. »Wo haben Sie Sheriff Noble aufgegabelt? Oder sind Sie miteinander verheiratet? Sind das etwa Ihre Jungs?«
»Nein, wir sind nicht verheiratet«, sagte Dix leichthin. »Wir sind uns erst vor einer Woche begegnet, als das alles hier begonnen hat, Detective Morales.«
»Nennen Sie mich Cesar.«
Dix nickte, lehnte sich nach vorne und faltete die Hände vor der Brust. »Ich bin Dix, und das ist Ruth. Ruth ist die Agentin, auf die Dempsey und Slater Samstagnacht geschossen haben. Wir haben uns vorhin mit Ruths Boss in Washington getroffen, und ich bin wirklich froh, Sie heute hier bei der Arbeit vorzufinden, damit wir uns mal persönlich kennenlernen.«
Ruth sagte: »Wir beide sind mit Wochenenddienst vertraut, Sheriff. Das Böse schläft nie.«
»Tut mir leid,
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