Angst - Kilborn, J: Angst - Afraid
von Safe Haven. Er war nackt. Ein graues Klebeband war um sein Gesicht gewickelt, und seine Handgelenke glänzten von Blut.
Er schrie hinter seinem Knebel, so dass sich sein ganzer Körper schüttelte. Verzweifelt streckte er die gefesselten Hände nach ihr aus, die Augen aufgerissen und um Hilfe flehend, ehe der Tanklaster wieder an Geschwindigkeit zunahm und die Hauptstraße weiter entlangfuhr, ehe er links Richtung Conway abbog. Das rotblaue Streiflicht verblasste, und es wurde wieder dunkel.
Fran war vom Rennen schwindlig geworden, und nun begann sie erneut zu hyperventilieren. Sie blickte zurück zu Taylor, der sein Gesicht mit der kleinen Taschenlampe anleuchtete. Er runzelte die Stirn und mimte mit der freien Hand, wie ihm Tränen die Wangen herunterliefen.
Fran schloss die Augen, beugte sich nach vorn und steckte den Kopf zwischen die Knie. Sie durfte nicht wieder bewusstlos werden. Eine kühle Brise wehte ihr ins Gesicht, und das
Rauschen des Flusses half ihr, wieder zu sich zu kommen und sich zu konzentrieren.
Das Rauschen des Flusses.
Fran hob den Kopf und registrierte erst jetzt, dass sie auf der Brücke über dem Fluss stand. Unter ihr befanden sich die rauen Gewässer des Chippewa.
Es verging kein einziger Sommertag, an dem sie nicht zumindest einen Angler auf der Brücke stehen sah, die lange Leine ins Wasser unter ihm geworfen.
Sie rannte bis ans Geländer und beugte sich darüber. Sie konnte das Wasser riechen. Es war zu dunkel, um etwas sehen zu können, aber sie glaubte sich daran zu erinnern, dass das Wasser etwa fünf Meter unter ihr lag. Die Zehntausend-Dollar-Frage aber lautete: War es auch tief genug? Wenn sie sprang, würde sie sich die Beine brechen? Und selbst wenn alles gutging, wie lange würde sie sich mit gefesselten Händen über Wasser halten können?
Der Lichtkegel der Taschenlampe schien ihr genau in die Augen.
»Ich wette, das Wasser ist echt kalt.« Taylor würde nur noch wenige Schritte brauchen, bis er sie erreicht hatte. »Und man hat mir gesagt, dass Ertrinken eine grässliche Art des Sterbens ist.«
Nicht so grässlich, wie von einem Psychopathen zu Tode gefoltert zu werden, dachte Fran. Aber was sie wirklich antrieb, war der Wille, sich unbedingt zu Duncan durchkämpfen zu müssen und zu wissen, dass er in Sicherheit war. Sie holte tief Luft, schloss die Augen und sprang über das Geländer.
Der Sturz dauerte nicht einmal eine Sekunde, kam ihr aber viel länger vor. Während sie fiel, stellte sie sich Felsen, kantige Stahlträger, Glasscherben oder vielleicht auch eine Insel mitten im Fluss unter ihr vor - jedenfalls etwas anderes als Wasser,
auf dem sie zerschellen und sich sämtliche Knochen brechen konnte.
Aber sie landete im Wasser, und das war Schock genug. Mit dem Gesicht zuerst kam sie auf, was sich wie ein harter Schlag anfühlte, der in ihren Ohren widerhallte. Dann folgte ihr Körper, und sie sank tiefer und tiefer - bis sie sich fragte, ob der Fluss überhaupt ein Flussbett besaß. Die Kälte drang in sie ein, bohrte sich in jede Pore, in jeden Spalt ihres Körpers.
Fran drehte und wendete sich, fühlte sich aber so desorientiert, dass sie nicht wusste, in welcher Richtung die Wasseroberfläche lag. Eine starke Strömung riss sie seitlich mit sich und wirbelte sie herum. Fran hörte auf, sich von selbst zu bewegen, sondern überließ dem Wasser die Kontrolle, bis der Sog schwächer wurde und ihr die Luft in ihren Lungen Auftrieb gab. Dann paddelte sie nach oben. Sie trat und strampelte, bis ihr der Kopf beinahe zerplatzte, so sehr hatte sie die Schultern und den Nacken angespannt.
Endlich kam sie hoch. Sie prustete und war beinahe überrascht, noch am Leben zu sein. Dann ließ sie sich vom Wasser auf den Rücken treiben und paddelte mit den Füßen weiter, immer mit der Strömung gleitend. Sie konnte zwar noch nichts sehen, aber sie wusste, dass sie sich mit jeder Bewegung, jeder verstrichenen Sekunde weiter von Taylor entfernte.
Kaum hatte Fran ihre Atmung wieder unter Kontrolle und ihre Beine in einen regelmäßigen Paddel-Rhythmus gebracht, vernahm sie in der Ferne ein Geräusch wie tosenden Applaus. Es wurde immer lauter, und als es sich zu einem dumpfen Tosen entwickelt hatte, wusste sie, was es war und woher es kam.
Fran drehte sich auf den Bauch und sah, wie der Vollmond den Wasserfall erhellte, auf den sie immer schneller zuraste.
Josh nahm die Taschenlampe und leuchtete damit in die Bäume. Er konnte ihre Verfolger zwar nicht sehen, wusste
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