Angst sei dein Begleiter: Thriller (German Edition)
es, ein Genie zu sein, wenn anscheinend niemand Notiz davon nahm?
Die Nachrichten über die Morde an den zwei Frauen, in der Zeitung wie auch im Fernsehen, waren dürftig. Nirgends wurde die kunstvolle Arbeit erwähnt, die er in Kleidung, Make-up und Haar investiert hatte.
Eines Tages werde ich berühmt sein, hatte er seiner Mutter erklärt, als er etwa zehn Jahre alt gewesen war.
Sie hatte ihn ausgelacht, was ihn innerlich zum Kochen brachte, und geschnaubt: Du bist nichts, Junge, und wenn du hundert Jahre alt wirst, bleibst du immer ein Nichts.
»Sei still«, sagte er laut. »Halt den Mund, du blöde, fette Kuh.« Es tat gut, auf diese Weise mit ihr zu sprechen, was er, als sie noch lebte, nie gewagt hätte.
Sein Blick schweifte zu dem Sessel, auf dem ein Ballen lavendelfarbener Stoff auf ihn wartete. Die Annalise-Puppe trug ein hübsches, lavendelfarbenes Kleid, und er hatte bereits mit der Arbeit daran begonnen. Er wollte auf sie vorbereitet sein.
Wieder flackerten Flammen vor seinen Augen. Es kribbelte ihm in den Fingern, als er sich vorstellte, wie er sie um Annalises zarten Hals legte und das Leben aus ihr herauspresste. Als die Flammen verloschen, sah er vor seinem inneren Auge das offene Fenster an ihrem Haus. Es war wie eine süße Aufforderung, sein letztes Ziel zu erreichen.
Plötzlich hatte er das dringende Bedürfnis, das Fenster wirklich zu sehen, nicht nur in seiner Vorstellung. Wie benommen stand er auf und ließ seine Arbeit liegen.
Er war von einem unkontrollierbaren Impuls getrieben, und in seinem Kopf herrschte Leere. Diese Leere blieb, bis er sich vor Annalises Haus wiederfand und zu dem offenen Fenster aufblickte.
Er stieg die ersten fünf Sprossen der Feuerleiter hinauf, nur um zu prüfen, ob er das Fenster erreichen konnte. Sein Herz raste, als es ihm gelang, sich am Fensterbrett festzuhalten. Mit einer Hand schob er das Fenster hoch, und es ließ sich geräuschlos öffnen.
Vielleicht sollte er einfach mal versuchen, ob er es schaffte, ins Haus einzudringen. Es war lächerlich einfach, ein Bein von der Feuerleiter durch das offene Fenster zu schwingen und sich dann über das Fensterbrett hineinzuhieven.
Er ließ sich hinter einem großen Stapel Kisten auf den Boden fallen und konnte es im ersten Augenblick nicht fassen, dass er tatsächlich in ihrem Haus war. Sein Hochgefühl glich einem hitzigen Fieber. Völlig reglos stand er da und lauschte, konnte aber nichts außer seinem keuchenden, erregten Atem hören.
Nur eine Treppe trennte ihn noch von ihr. Er schloss das Fenster, durch das er eingestiegen war, bis auf einen winzigen Spalt, der gerade groß genug war, damit seine Finger Halt fanden, um es wieder hochzuschieben. Von der Straße aus würde nichts zu bemerken sein.
Dankbar für das Mondlicht, das durch die Fenster fiel, huschte er hinter den Kisten hervor. Der Lagerraum war riesig, aber mit so vielen Kisten und alten Möbelstücken vollgestellt, dass das Hindurchkommen einem Hindernislauf glich. Vorsichtig suchte er sich einen Weg zur Treppe. Ich bin noch nicht bereit für sie, sagte er sich. Ihre Zeit ist noch nicht gekommen. Trotzdem krallte sich seine Hand um den Treppenlauf, und er begann, hinaufzusteigen.
Ungeduldige, kleine Rotznase. Die Stimme seiner Mutter dröhnte in seinen Ohren und ließ ihn mitten in der Bewegung innehalten.
Er umklammerte das Geländer noch fester und zwang die Stimme, mit all seiner Willenskraft, zu verstummen. Langsam stieg er die Treppe hinauf, sein Herz hämmerte in freudiger Erwartung. Oben angekommen, fand er sich in einem kleinen Flur wieder, und die Tür zu ihrem Loft lang direkt vor ihm.
Er bildete sich ein, sie riechen zu können. Der leichte Blumenduft, den sie gern trug, drang in seinen Kopf, und ihm wurde beinahe schwindelig. Jetzt schlief sie vermutlich, lag im Bett und ahnte nicht, wie nahe sie der Unsterblichkeit war.
Er trat näher an die Tür heran und legte eine Hand auf den Holzrahmen. Sie war gleich auf der anderen Seite, und er konnte ihre warme Lebensenergie spüren.
Er lehnte sich mit dem gesamten Körper an die Tür und schloss die Augen. Ihre Hitze strahlte durch die Tür und wärmte ihn. Er bekam eine steinharte Erektion.
Hol sie dir jetzt, flüsterte eine leise Stimme in seinem Kopf. Öffne die Tür und hol sie dir. Er wich zurück, brach den Kontakt zu der einzigen Barriere zwischen ihr und ihm ab.
Seine Hand zitterte, als er über die Tür strich und den Messingknauf umfasste. Mit angehaltenem Atem drehte
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