Angst vor dem Blutbiss
auf der sie aber vergessen hatte, das Geröll fortzuräumen. Von dort löste sich ein Stein!
Er kollerte herab, der Junge sah ihn springen, was ihn alarmierte. Hatte sich der Stein von allein gelöst? Dem Stein folgte der Schatten. Und das war er, der Vampir!
***
Was Herbert Lagemann in den nächsten Sekunden dachte, wußte er nicht. Es war nicht nachvollziehbar für ihn, und er fragte sich, ob er überhaupt etwas dachte. Wahrscheinlich nicht, denn diese Situation war neu für ihn, sie war einfach zu irreal, nicht mehr nachvollziehbar, denn er mußte sich mit dem Gedanken vertraut machen, daß die Person, die da auf ihn zuflog, kein Mensch war, obwohl sie aussah wie ein Mensch. Sie glich einem Schatten mit einem hellen Fleck an seinem oberen Ende – dem Gesicht. Eine bleiche Fratze!
Sie kam näher, und diese wenigen Sekunden dehnten sich für den Jungen zu einer kleinen Ewigkeit, so daß er auch in der Lage war, das Gesicht zu sehen.
Bleich, alt und gleichzeitig alterslos. Wie geschminkt für einen Maskenball und verirrt auf einen Friedhof.
Leider war es kein Irrtum.
Er kam.
Und Herbert konnte nicht mal schreien. Er spürte den Aufprall eines harten Körpers und merkte auch, wie sich Zangenfinger in Brusthöhe in den Stoff seiner Kleidung bohrten. Er bekam den harten Schlag. Es war unmöglich für ihn, sich auf den Beinen zu halten. Er kippte zurück, und während Herbert fiel, riß der Vorhang vor seinen Augen weg, der ihn bisher geschützt hatte.
Die Realität hatte ihn wieder. Und sie besagte, daß er jetzt um sein Leben kämpfen mußte.
Er spürte den Aufprall. Es war schlimm, als er mit dem Rücken auf den harten Fels schlug, aber er hatte instinktiv das Richtige getan und den Kopf während des Falls etwas angehoben, so daß er mit ihm nur leicht auftickte, als ihn die Gegenbewegung erwischte.
Er hörte über sich ein Geräusch, das er nicht identifizieren konnte. Mit einer gespreizten Hand wurde er festgehalten und zu Boden gedrückt.
Die andere schwebte plötzlich über seinem Gesicht, ebenfalls gespreizt, und sie war für ihn wie die Klaue eines Monsters, die seine gesamte Haut aufreißen wollte.
Er schrie und stieß den rechten Arm etwas nach oben. Ihm war eingefallen, daß er darin seinen Eichenpflock hielt. Er hörte etwas Ratschen, der spitze Pflock krallte sich in einem Stoff fest, und wie aus weiter Ferne vernahm er die Stimmen seiner Freunde, konnte aber nicht verstehen, was sie ihm zuriefen.
Dafür der Vampir.
Plötzlich war er sich seines Opfers nicht mehr so sicher. Es lag vor ihm auf dem Boden, er kniete auch mit einem Bein auf ihm, aber er würde nicht die Ruhe bekommen, um das Blut seines Opfers zu saugen und zu genießen.
Zwei andere waren zu schnell.
Zwei Menschen!
Der Untote drehte den Kopf nach links, um zu sehen, wie weit die beiden schon gekommen waren. Sehr nahe.
Ihm blieb keine Zeit, aber er wußte auch, daß in ihren Körpern ebenfalls Blut steckte. Er vertraute auf seine Kraft. Wenn es ihm gelang, alle drei auszuschalten, dann würde er mehr als satt, sogar übersatt sein, und konnte noch einen Menschen in die Höhle schleppen als Reserve.
Katzenhaft schnell kam er hoch.
Claudio Melli hatte die Führung übernommen und war den kürzesten Weg gelaufen. Mit geschmeidigen Bewegungen huschte er an den Grabsteinen vorbei, auch er hatte Angst, schreckliche Angst sogar, aber er kompensierte sie, indem er den Mund weit aufgerissen hatte und laut schrie.
Er würde es packen, die Bestie sollte nicht…
Seine Gedanken brachen ab, als sich die unheimliche Gestalt ausgerechnet ihm zuwandte. Sie wollte von ihm das Blut, aber Melli ließ diesen Gedanken gar nicht erst aufkommen. Er vertraute auf sein Kreuz und auf das Weihwasser, denn nach dem Verlassen der Höhle hatte ihm Herbert Lagemann das Gefäß gegeben.
Es hing nicht mehr an seinem Gürtel. Er hatte die schmale Kette um seine rechte Hand gewickelt, den Deckel des Eis längst aufgeschraubt und schwang das Gefäß wie ein Diskuswerfer seine Scheibe, während er auf den Blutsauger zurannte.
Die Löcher waren groß genug, um die Tropfen entlassen zu können. Sie schimmerten wie glänzende Perlen und wischten in einer breiten Front auf den Blutsauger zu.
Er bemerkte zu spät, was sich ihm da näherte. Plötzlich schrie er auf.
Erste Tropfen hatten die Haut in seinem Gesicht erwischt. Was bei einem Menschen kühlte und eine Wohltat war, das bewirkte bei ihm genau das Gegenteil.
Die Tropfen brannten wie Säure. Er hatte
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