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Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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zuvor an ihrer Tochter bemerkt hatte. Sie dachte daran zurück, wie Anna einen Monat zuvor ausgesehen hatte – wie groß der Gegensatz zwischen ihr und den verwilderten Jungs gewesen war. Jetzt gab es zwischen den dreien kaum noch einen Unterschied. Sie sahen so aus, als wären sie alle aus ein und derselben Form gegossen. Diese Erkenntnis war ein Schock für Rose. Sie hatte ihre Familie stets als eine Art algebraische Formel betrachtet, die nach außen hin fein säuberlich durch Klammern abgetrennt war.
    Doch jetzt, genau in dem Moment, als sie über eine Baumwurzel stolperte, kam ihr urplötzlich die Erleuchtung, dass sie, Anna, Flossie und Gareth nach dem Umbau ihres Hauses ganz einfach nicht genügend Zeit gehabt hatten, um als Familie zu einer untrennbaren Einheit zusammenzuwachsen. Die Wand, die sie um sich herum errichtet hatten, war eine Chimäre gewesen, und jetzt war sie durchbrochen worden.
    Sie keuchte und schaffte es mit Mühe, ihr Gleichgewicht zu halten.
    »Hoppla.« Simon hielt sie am Arm fest.
    »Geht schon«, sagte sie und sah zu ihm auf. »Ich bin bloß gestolpert.«
    »Lass uns noch einen Abstecher zum Laden machen und Kuchen holen«, schlug er vor, woraufhin sich alle Kinder gleichzeitig umdrehten und in lautes Freudengeschrei ausbrachen. Im Dorfladen gab es einen nach geheimem Rezept gebackenen Schokoladenkuchen, der in der ganzen Umgebung berühmt war.
    *
    Das Haus, in dem Simon und Miranda wohnten, lag ungefähr eine halbe Meile entfernt, was sie zu Roses und Gareths übernächsten Nachbarn machte. Der Gegensatz zum frisch renovierten Pförtnerhaus mit seinen klaren Linien hätte kaum größer sein können. Im Innern des baufälligen alten Gebäudes herrschte ein heilloses Durcheinander, auf jeder freien Fläche türmten sich Briefe und Bücher. Aufwendige Renovierungsarbeiten wie bei Rose und Gareth hatte es hier nie gegeben, und der Garten glich selbst im Frühjahr schon einem Urwald, in dem Pflanzen, die im letzten Her bst hätten zurückgeschnitten werden müssen, wie Unkraut ihr e neuen Triebe in alle Richtungen reckten.
    Simon räumte einen Platz auf dem Tisch frei, indem er einen Stapel alte Zeitungen auf einen Hocker schob. Er kochte Tee für alle, ohne vorher zu fragen, wer überhaupt einen wollte, und servierte ihn in fleckigen Tassen. Nico und Yannis, die mit diesem englischen Ritual nicht vertraut waren, schlürften ihren Tee und schnitten dabei Grimassen, als hätte man ihnen schwarzgebrannten Schnaps gereicht.
    Den Kuchen gingen sie mit weit weniger Zurückhaltung an. Er war so schokoladig, dass er fast zerfloss. Die Frau aus dem Nachbardorf, die ihn backte, hatte früher bei Konditor & Cook in London gearbeitet. Die Kinder hatten ihre Stücke im Nu verschlungen und bettelten mit schokoladenverschmierten Mündern und Fingern um Nachschlag, den Simon ihnen sogleich auftat, noch bevor Rose Einspruch erheben konnte.
    »Tiger wurde heute schon wieder nach Hause geschickt«, erzählte Anna.
    »Bitte sprich nicht mit vollem Mund, Anna.« Rose berührte sie mahnend am Handgelenk.
    »Er hat Sammy eine reingehauen«, sagte Yannis.
    »Nicht doll genug«, knurrte Nico.
    »Aber seine Nase hat geblutet«, meinte Anna zu Simon, der daraufhin das Gesicht verzog.
    »Was soll das heißen, nicht doll genug, Nico?«, wollte Rose wissen.
    »Er hat Sachen über unsere Mama gesagt«, erwiderte Yannis.
    »Halt die Fresse, Yan«, warnte Nico.
    »Was für Sachen?« Behutsam trat Rose zwischen die beiden.
    »Er hat gesagt –«
    »Halt die Fresse !«, schrie Nico seinen kleinen Bruder an. »Es ist total egal, was er gesagt hat! Er hätte überhaupt nichts sagen dürfen!«
    »Was auch immer er gesagt hat, deswegen hätte man ihn noch lange nicht schlagen dürfen«, meinte Rose.
    »Wohl. Verdammtes Arschloch. Und sie hätte Tiger nicht nach Hause schicken dürfen«, grollte Nico. »Er hat uns bloß geholfen.«
    »Sammy ist wirklich ein Arschloch«, sagte Yannis todernst.
    »Wenn du meinst.« Rose sah auf ihre Hände herab. Sie hatte einfach nicht die Kraft, aus der Geschichte eine Schlussfolgerung zu ziehen. Normalerweise hatte sie für die Kinder immer eine Lehre parat, aber diesmal suchte sie danach vergebens. Betretenes Schweigen setzte ein. Nur Flossies schnaufender Atem war zu hören, während sie versuchte, sich ein zermatschtes Stück Schokoladenkuchen in den Mund zu schieben.
    »Also, wer will eine DVD gucken?« Simon klatschte in die Hände. »Wir haben eine erstklassige Raubkopie von Fluch der

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