Angstschrei: Thriller
nicht einmal, ob sie überhaupt wirken würde, aber sie hoffte es. Es war ihre einzige Waffe.
Jetzt streifte sie die Maske und die Handschuhe wieder über und schlich nach hinten zur Rückseite des Hauses. Sie warf einen Blick in das Garagenfenster. Der Mond schien hell genug, um zu erkennen, dass ein Wagen in der Garage stand. Aber es war nicht der Escalade der Markhams. Dieser hier war kleiner, schnittiger.
Abby griff nach ihrem Schlüsselbund und suchte den Schlüssel mit den Initialen I.M. Sie schloss die Hintertür auf und trat ein, machte die Tür zu und lauschte erneut. Regungslos stand sie da. Das Mondlicht schien durch die Scheiben der großen Fensterfront und erhellte das gesamte Erdgeschoss, das aus nur einem einzigen, großen Raum bestand. Küche, Ess- und Wohnbereich gingen nahtlos ineinander über. Draußen krachten mondbeschienene Wellen auf die Felsen und lösten eine Schaumexplosion nach der anderen aus, aber das Haus war so massiv gebaut, dass sie kaum etwas davon hörte. Eigentlich konnte die zusätzliche Tablette gar nicht so schnell gewirkt haben, dennoch schienen die Stimmen leiser geworden zu sein. Sie gaben jetzt nur noch ein leises Murren und Brummen von sich, wie unruhige Schläfer, die sich im Bett herumwälzten. Ansonsten herrschte Stille.
Im Raum war es warm. Abby kniete nieder und legte ihre flache Hand auf die Holzdielen. Die Fußbodenheizung war an. Sie blickte sich um, suchte nach Mänteln oder Stiefeln oder anderen Anzeichen ungebetener Wintergäste. Nichts. Rechter Hand führte eine Treppe hinauf in den ersten Stock. Wer oder was mochte sie dort erwarten? Sie stand vor der ersten Stufe und lauschte. Ein lang gezogener, leiser, gramerfüllter Schrei drang zu ihr nach unten. Ihr Herz schlug schneller. Waren das die Stimmen? Eher nicht, aber sie befahl ihnen trotzdem, still zu sein. Dann blieb sie noch eine Minute lang stehen, schloss die Augen und holte einmal tief Luft. Wenn sie diese eine Sache hier zu Ende brachte und alles richtig machte, vielleicht konnte sie dadurch die Stimmen für immer zum Schweigen bringen. Außerdem gehörte es zu ihrer Arbeit. Sie musste es versuchen. Sie blickte sich um, suchte in der Küche nach so etwas wie einer Waffe. Ihr Blick fiel auf ein Küchenmesser mit einer über zwanzig Zentimeter langen Klinge. Damit konnte man sicher jemanden umbringen– aber der Gedanke, tatsächlich jemanden zu erstechen, und sei es in Notwehr, jagte ihr viel zu viel Angst ein. Sie entschied sich stattdessen für eine gusseiserne Bratpfanne. Die Vorstellung, jemandem den Schädel einzuschlagen, behagte ihr irgendwie eher.
Sie streifte die Fausthandschuhe ab und schnallte sie an ihrem Gürtel fest. Dann holte sie noch einmal tief Luft, wartete ein paar Sekunden und stieg dann, Stufe für Stufe und so leise wie irgend möglich, die Treppe hinauf. Sie hielt die Bratpfanne so fest gepackt, dass ihre rechte Hand anfing wehzutun. Dann betrat sie den oberen Flur. Ein dicker Teppich dämpfte ihre Schritte. Erneut erklang dieser wortlose Schrei, leise und von einer entsetzlichen Hoffnungslosigkeit. Noch nie im Leben hatte Abby etwas so Trauriges gehört. War das echt, oder waren es die Stimmen? Sie konnte es nicht sagen. Die Tür am Ende des dunklen Flurs stand einen Spalt offen, nur ein, zwei Zentimeter weit. Schwaches, flackerndes Licht drang heraus. Abby presste sich gegen den Türpfosten und spähte mit einem Auge in den Raum. Einen Augenblick lang stand sie wie gelähmt da, unfähig sich zu rühren, unfähig zu sprechen, unfähig zu begreifen, was sich da vor ihrem Auge abspielte.
Das Zimmer war nur von einigen wenigen im Raum verteilten Kerzen erleuchtet. Auf dem Bett kniete eine nackte Frau. Ihre Hand- und Fußgelenke waren allem Anschein nach mit Seidenschals an die Bettpfosten gefesselt. Ein weiterer Schal bedeckte ihren Mund. Sie hatte den Kopf gesenkt. Langes, dunkles Haar verbarg ihr Gesicht. Neben dem Bett stand ein Mann. Sein Blick war auf die Frau gerichtet, und er wandte Abby den Rücken zu. Auch er war nackt, sein Körper schlank und durchtrainiert. In der rechten Hand hielt er ein Messer mit einer schmalen Klinge. Abby sah, wie er mit der linken Hand die Haare der Frau anhob und dann mit dem Messer ausholte. Wie er das Messer im hohen Bogen senkte. Innehielt. Die Spitze sorgfältig auf den Nacken der Frau setzte, genau in der Mitte. Wie er zustieß. Die Klinge drang in das Fleisch. Die Frau brach zusammen. Abbys Kopf explodierte in einer Kakophonie von
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