Angstspiel
verwirrter, als ich dachte«, lacht sie nur.
Da muss ich auch kurz lachen. »Und wie bist du den Fettklops losgeworden?«, frage ich.
»Irgendwann, als er mal wieder vor unserer Tür rumscharwenzelte, hat Philipp ihn mit dem Gartenschlauch abgeduscht. War ein bisschen fies, weil es Winter war. Hat aber geholfen. Leider hat er mich dann nie wieder zu seinen Poolpartys eingeladen. Die Eltern hatten ein eigenes Schwimmbad im Keller. Das fand ich ein bisschen doof.«
Natürlich. Philipp hat ihr geholfen. Um ihren großen Bruder beneide ich Julchen am meisten. Und natürlich um ihren Busen, ihre riesigen Augen, ihre gute Laune und ihre Vespa. Aber um den Bruder echt am meisten. Wenn Julchen ein Problem hat - kein Geld mehr, Ärger mit den Eltern, eine verhauene Klausur -, wird es Philipp schon richten.
»Woher weißt du eigentlich, dass dieser Internet-Fraggle das mit dem Herz war?«
»Weil das genau sein Stil ist. Er will mir sagen: Ich bin in deiner Nähe. Du siehst mich nicht, aber ich bin da. Ich weiß, was du tust. Du kannst dich nicht verstecken.«
»Wieso solltest du dich verstecken?«
»Weil mich der Typ fertigmacht.«
Meine Stimme ist laut geworden. Und schrill.
Meine Bettnachbarin richtet sogar kurz ihren Blick auf mich. Dann glotzt sie wieder zu ihrer peinlichen Talkshow.
»Man hat doch immer irgendwie Leute in seiner Nähe.
Es gibt total viele Menschen, die einen beobachten. Ich zum Beispiel liebe es, im Café zu sitzen und Leuten zuzugucken. Vor mir muss sich aber nun wirklich niemand verstecken. Ich habe auch schon mal Herzen oder so einen Quatsch auf Autofenster geschmiert. Ich hoffe nicht, dass die Besitzer gleich die Scheiben eingeworfen haben. Ich glaube, du siehst echt Gespenster.«
Wusch. Genau das hätte sie nicht sagen dürfen. »Du siehst Gespenster …« Das ist der Satz, vor dem ich mich fürchte. Ich schließe die Augen. Ich versuche, nicht zu explodieren. Julchen weiß ja nichts von meiner Psycho-Vergangenheit. Sie kann nichts dafür, dass dieser Satz mir die Luft nimmt. Ich atme tief durch und sage langsam: »Dann bilde ich mir also ein, dass jemand die Fotos in meinem Album bearbeitet hat? Dann hat also niemand mega-peinliche Bilder von mir ins Netz gestellt?«
»Doch natürlich, Linda. Ich habe die Fotos ja auch gesehen.«
Gut gerettet, Julchen!
Sie fährt fort: »Klar, das war mega-doof. Aber ich glaube gar nicht, dass das so viele gesehen haben. Außer deinem Kumpel Merlin, der dir ja dann so oberlehrerhafte Tipps geben wollte, von wegen sicheres Verhalten im Internet. Das war ja nur nervig. Sonst hat das kaum einer gespannt. Außerdem war der Fake ja so was von offensichtlich …«
»Klar. Sieht ja jeder sofort, dass ich nicht so riesige Möpse habe.«
Mir wird richtig übel, wenn ich an die Fotos denke. Bilder von unserem letzten Sommerurlaub. Nur ein paar Tage nachdem ich die hochgeladen hatte, kam die Mail.
Ich sehe mir deine Fotos immer wieder gerne an. Komme direkt in Stimmung. Auf Meer und mehr.
Irritiert hatte ich mir mein Profil im Chat angesehen. Und die Bilder. Auf den Strandfotos habe ich nur noch
eine kleine Bikinihose an. Oben bin ich ohne. Also ohne Oberteil. Dafür aber mit einem Mega-Busen. Ich stehe da mit riesigen Dingern und grinse in die Kamera. Ich konnte zwei Tage nicht in die Schule gehen. Ich hatte so eine Panik, dass irgendjemand was sagen könnte. Oder nichts sagen, nur glotzen würde.
»Okay, das mit dem Atombusen war irgendwie blöd. Da hat sich jemand einen schlechten Scherz erlaubt. Aber ich finde, wir haben da gut drauf reagiert.«
In meiner Panik hatte ich damals Julchen sofort angerufen und ihr alles erzählt. Zusammen mit Philipp hatte sie dann Fotos von sich verfremdet und ins Netz gestellt. Auf einem hat sie total kurze Stummelbeine, auf einem anderen eine riesige fette Nase mit Warze. Ich fand das ja ganz nett. Aber die Angst war geblieben.
Julchen schreckt hoch: »Mist, ich muss los. Wenn ich heute schon wieder bei Bio fehle, habe ich echt ein Problem.«
»Hast du jetzt nicht gerade Philosophie?«
»Ist ausgefallen. Zumindest für mich«, grinst sie.
Nachdem Julchen weg ist, fühle ich mich noch mehr allein als vorher. Ich muss aus diesem Bett heraus. Also schlendere ich ein paar Mal den Gang hoch und runter und laufe meinen Eltern in die Arme. Die kommen direkt aus dem Büro von Herrn Bleicher.
Ich kann mich noch nicht mal freuen sie zu sehen. Auch als sie mir sagen, dass sie mich jetzt direkt mit nach Hause nehmen, bleibt
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