AnidA - Trilogie (komplett)
Ausflug, den sie hatten unternehmen wollen. Sie hatten den steilen Weg zur Unterstadt hinab kaum zur Hälfte bewältigt, da hatte Anna blass und um Atem ringend um eine Umkehr gebeten, und Korben hatte sie voll Sorge gleich bei Meister Wilber in der Krankenstube abgeliefert.
Am nächsten Tag war sie munter und wohlauf wieder zum Unterricht erschienen und hatte auf seine besorgte Frage nach dem Grund ihres Schwächeanfalls nur sehr ausweichend geantwortet. Auch Meister Wilber hatte sich darüber ausgeschwiegen, und Korben war denn auch nicht weiter in die beiden gedrungen, da sie so bedacht darauf gewesen waren, das Thema zu meiden. Aber seitdem hatte er Anna schärfer beobachtet und feststellen müssen, dass es immer wieder Tage gab, an denen sie blasser als gewöhnlich und offenbar von geschwächter Gesundheit zu sein schien. Darauf aber folgten wieder solche Tage wie heute, da sprühte sie vor Energie, da schien ihr Haar Feuerblitze auszusenden, und ihre Augen funkelten heller als sonst.
»Klar, heute schaffe ich alles«, erwiderte Anna übermütig und zog ihn auf die Beine. »Los, zeig mir endlich, wo du dich immer herumtreibst, wie Meister Wilber es nennt!«
Korben protestierte leise, hinkte aber grinsend hinter ihr her. Der Torwächter nickte ihnen zu, als sie das Häuschen passierten und voller Tatendrang hinaus auf die staubige Gasse traten. Bis zum Abendessen war noch Zeit, und die wollten sie nun weidlich nutzen.
~ 2 ~
Die Oberste Hexe war Hochmeister Rafiels Wunsch nachgekommen, ihn eine ausreichende Zeit vor dem anberaumten Ratstreffen zu empfangen, da er etwas mit ihr zu besprechen habe. Nachdem die Schwester, die ihn zu Herrads Räumen geleitet hatte, mit einem achtungsvollen Knicks die Tür hinter sich geschlossen und ihre Schritte sich entfernt hatten, bot Herrad dem groß gewachsenen Ritter mit einer Handbewegung den bequemsten Sessel an, reichte ihm einen Becher mit gekühltem Wein und faltete dann die Hände unterm Kinn.
»Stillt meine Neugier, Hochmeister«, sagte sie. »Was gibt es zwischen uns zu besprechen, das die anderen Ratsmitglieder nicht hören sollen?«
Rafiel leerte bedächtig seinen Becher und rollte ihn zwischen den Handflächen. Schließlich stellte er ihn auf dem Tischchen neben sich ab, streckte die langen, in staubigen Stiefeln steckenden Beine auf dem hellen Wollteppich aus und richtete seine verwaschen blauen Augen auf die geduldig abwartende Oberste Hexe.
»Es ist nichts, was ich genau benennen könnte«, begann er mit einem für ihn unüblichen Zögern in der Stimme. Herrad musterte den Ritter neugierig. Hochmeister Rafiel war eher ein Soldat als ein Gelehrter. Der Ritterorden vom Herzen der Welt stellte die Leibgarde des Hierarchen, seine Mitglieder waren geschätzte Lehrer und Ausbilder an den Höfen der Tetrarchen und minderer Adliger. Im Falle von Grenzstreitigkeiten oder gar eines kriegerischen Konfliktes bildeten die Angehörigen dieses Ordens das Herzstück der Streitmacht der Hierarchie. Das hieß nun keineswegs, dass der Orden sich ausschließlich mit Waffenkünsten und kriegerischen Themen beschäftigte. Der Amtsvorgänger Rafiels war ein gelehrter und belesener Mann mit breit gefächerten Interessen gewesen und hatte viel dazu beigetragen, dass alte Schriften aus der Zeit vor dem Abfall der verlorenen Provinz aufgefunden, entziffert und gedeutet werden konnten.
»Was bedrückt Euch, Hochmeister?«, fragte Herrad, als Rafiel nicht fortfuhr. Sie bemühte sich darum, ihre Ungeduld nicht hörbar werden zu lassen, denn sie wusste aus ihren früheren Begegnungen, dass der alte Haudegen sich nicht gern drängen ließ.
»Ach, es ist ein Unbehagen, das ich verspüre«, verkündete Rafiel schließlich mit einem zornigen Auflachen. »Euer Orden und der meine haben so lange mit vereinten Kräften nach dem verschollenen Herzen gesucht«, er griff unwillkürlich nach dem Schmuckstück auf seiner Brust, das dem der Obersten Hexe wie ein Zwilling glich. Herrads Hand zuckte, aber sie beherrschte ihre Regung, es ihm gleichzutun, und legte ihre Hände entspannt in den Schoß.
»Dann wurde es wieder gefunden – durch Eure verehrte Vorgängerin im Amt«, er deutete im Sitzen eine leichte Verbeugung an, die Herrad mit einem Neigen ihres Kopfes beantwortete, »und verschwand für kurze Frist erneut – um endlich mit seiner dunklen Schwester gemeinsam der Obhut eines Kindes anvertraut zu werden, das diese Last zu tragen nicht im Mindesten in der Lage ist.«
Er hatte sich
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