Anita Blake 02 - Bllutroter Mond
nicht sehen, was ihn umgebracht hatte. Aber aus diesem Grund war ich gekommen. Die Finger schon über dem zerrissenen Stoff, hielt ich inne. Ich nahm einen tiefen Atemzug, und das war ein Fehler. Über der Leiche stand ein kräftiger Geruch in der windigen Augusthitze. Der Tod kann wie ein Abort riechen, besonders wenn Magen oder Gedärm aufgerissen wurden. Ich wusste, was ich vorfinden würde, wenn ich das Laken weiter zurückschlug. Der Geruch verriet es.
Ich kniete eine Weile, hielt mir einen Ärmel vor Mund und Nase und atmete flach durch den Mund, aber es nützte eigentlich wenig. Wenn man es erst einmal in der Nase hat, wird man's nicht mehr los. Der Geruch kroch mir in den Hals und wollte nicht mehr verschwinden.
Schnell oder langsam? Sollte ich den Stoff fortreißen oder wegziehen? Schnell. Ich riss daran, aber er klebte. Dann löste er sich mit einem schmatzenden Geräusch.
Es sah aus, als hätte jemand einen riesigen Löffel genommen und ihn ausgeweidet. Magen und Gedärm, alles weg. Der Anblick verschwamm, und ich musste mich mit einer Hand abstützen, um nicht umzukippen.
Ich betrachtete das Gesicht des jungen. Er hatte das hellbraune Haar seiner Mutter gehabt. Feuchte Locken ringelten sich bis über die Wangen. Mein Blick wurde wieder von dem klaffenden Loch angezogen. Da sickerte eine dunkle, zähe Flüssigkeit aus dem Reststück des Darms.
Ich taumelte von der Szene weg, stützte mich auf die Grabsteine, um auf den Beinen zu bleiben. Ich wäre gerannt, wenn ich nicht gewusst hätte, dass ich dann falle. Der Himmel drehte sich und stieß mit dem Boden zusammen. Ich brach im dichten Gras zusammen und übergab mich.
Ich übergab mich, bis ich leer war und die Welt aufhörte, sich zu drehen. Ich wischte mir den Mund am Ärmel ab und zog mich an einem schräg geneigten Grabstein hoch.
Niemand sagte ein Wort, als ich zu ihnen zurückkehrte. Das Laken bedeckte die Leiche. Die Leiche. Ich musste es für mich so nennen. Konnte nicht mit der Tatsache leben, dass es ein kleines Kind war. Konnte nicht. Würde verrückt werden. »Nun?«, fragte Dolph.
»Er war noch nicht lange tot. Mensch, Dolph, es war früher Morgen, vielleicht kurz vor Morgengrauen. Er hat noch gelebt, gelebt, als das Biest ihn mitgenommen hat!« Ich starrte zu ihm hinauf und fühlte heiße Tränen aufsteigen. Ich wollte nicht weinen. Für heute hatte ich mich schon genug blamiert. Ich atmete tief und langsam ein und wieder aus. Ich würde nicht weinen.
»Ich habe Ihnen vierundzwanzig Stunden gegeben, um mit dieser Dominga Salvador zu sprechen. Haben Sie etwas herausgefunden?«
»Sie sagt, dass sie nichts darüber weiß. Ich glaube ihr.« »Warum?« »Wenn Sie Leute umbringen wollte, bräuchte sie nichts derartig Dramatisches zu tun.« »Wie meinen Sie das?«, fragte er. »Sie könnte ihren Tod herbeiwünschen«, erklärte ich. Er riss die Augen auf. »Und das glauben Sie?«
Ich zuckte die Achseln. »Vielleicht. Mann, ich weiß es nicht. Sie macht mir Angst.« Er zog eine Augenbraue hoch. »Das werde ich mir merken.« »Ich habe einen weiteren Namen für Ihre Liste«, sagte ich.
»Wen?« »John Burke. Er ist aus New Orleans zur Beerdigung seines Bruders gekommen.«
Er schrieb den Namen in sein Notizbuch. »Wenn er nur zu Besuch ist, hätte er die Zeit gehabt?«
»Ich kann mir kein Motiv vorstellen, aber er könnte es tun, wenn er es wollte. Überprüfen Sie ihn mit den Kollegen aus New Orleans. Ich glaube, er steht dort unter Mordverdacht.« »Was denkt er sich dann dabei, die Staatsgrenze zu übertreten?«
»Ich glaube nicht, dass man einen Beweis gegen ihn hat«, erwiderte ich. »Dominga Salvador sagt, sie wird mir helfen. Sie hat versprochen, herumzufragen und mir alles zu sagen, was sie zu Tage fördert.«
»Ich habe mich umgehört, seit Sie mir ihren Namen genannt haben. Sie hilft keinem außer ihren eigenen Leuten. Wie haben Sie sie dazu gebracht, mit Ihnen zu kooperieren?« Ich zuckte die Achseln. »Mit meinem gewinnenden Wesen.« Er schüttelte den Kopf.
»Es war nicht illegal, Dolph. Ansonsten will ich nicht darüber reden.«
Er ließ es dabei bewenden. Kluger Mann. »Sagen Sie mir Bescheid, sobald Sie etwas erfahren, Anita. Wir müssen das Biest aufhalten, bevor es wieder mordet.« »Abgemacht.« Ich wandte mich ab und schaute über das hügelige Gras. »Ist das der Friedhof, in dessen Nähe Sie die drei anderen Opfer gefunden haben?« »Ja.
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