Anita Blake 04 - Giergige Schatten
sehen. Ich stand in der Badezimmertür und spürte Richards Kraft an mir vorbeischwirren und wie aufgestautes Wasser ins Zimmer strömen. Edward kostete es sichtbare Anstrengung, nicht nach seiner Waffe zu greifen.
Richard schritt zur Tür, und ich meinte Wellen von seiner Bewegung in der Luft zu spüren. Mit der Hand am Türknauf blieb er stehen. »Ich werde es Marcus sagen, wenn ich ihn allein erwische. Wenn Raina dazwischenkommt, werden wir uns etwas anderes ausdenken müssen.« Er warf mir einen letzten Blick zu, dann war er fort. Ich erwartete beinahe, ihn den Gang hinunterrennen zu sehen, aber er tat es nicht. 1-A-Selbstbeherrschung.
Edward und ich standen in der Tür und sahen zu, wie er um die Ecke verschwand. Edward drehte sich zu mir um. »Und damit triffst du dich.«
Ein paar Minuten früher wäre ich noch beleidigt gewesen, aber meine Haut vibrierte von Richards nachwirkender Kraft. Ich konnte nicht mehr so tun als ob. Er hatte mich gebeten, ihn zu heiraten, und ich hatte ja gesagt Aber ich hatte nicht wirklich begriffen, was das bedeutete. Er war kein Mensch. Wirklich und wahrhaftig nicht.
Die Frage war: Wie viel änderte das? Antwort: Ich hatte keinen blassen Schimmer.
20
Ich verschlief den Sonntagmorgen und verpasste die Kirche. Ich war erst nach sieben Uhr morgens nach Hause gekommen. Es war unmöglich, zur Zehn-Uhr-Messe zu gehen. Gott verstand sicher, dass ich Schlaf brauchte, auch wenn er selbst ohne auskam.
Am späten Nachmittag war ich in der Washington University. Ich stand im Büro von Dr. Louis Fane, für seine Freunde Louie. Der frühe Winterabend überzog den Himmel mit zart purpurroten Wolken. Durch das einzige Bürofenster zeigten sich helle Himmelsstreifen wie ein beleuchteter Hintergrund für die Wolken. Louie hatte Anspruch auf ein Fenster. Im Gegensatz zu den meisten Doktoren. Die sind für jedes College billig zu haben.
Louie saß mit dem Rücken zum Fenster. Die Deckenlampe brannte. Sie bildete eine Lache goldener Wärme gegen die hereinbrechende Nacht. Wir saßen im letzten Abendlicht, und die Szene wirkte vertraulicher, als sie sollte. Ein letzter Widerstand gegen das Dunkel. Mein Gott, war ich heute melancholisch.
Louies Büro war gehörig vollgestopft. An einer Wand deckenhohe Regale, gefüllt mit biologischen Handbüchern und Aufsätzen und der vollständigen Reihe der James-Herriot-Bände. Das Skelett einer Mausohrfledermaus befand sich hinter Glas an der Wand neben seiner Diplomurkunde. An der Tür hing ein Plakat mit den Fledermausarten, wie man es ähnlich auch für Vogelliebhaber kaufen kann. Sie wissen schon: »Die heimischen Vogelarten Ost-Missouris«. Louies Doktorarbeit behandelte die Anpassung der Mausohrfledermaus an menschliche Behausungen.
Auf den Regalen lagen allerlei Funde aufgereiht: Muschelschalen, ein versteinertes Holzstück, Kiefernzapfen, Borke mit getrockneter Flechte. Lauter Dinge, wie ältere Biologiesemester sie unterwegs sammeln.
Louie war etwa eins achtundsechzig und hatte die gleichen schwarzen Augen wie ich. Sein Haar war glatt und fein und etwas über schulterlang. Das war kein Modebekenntnis wie bei Richard. Es sah gewissermaßen so aus, als hätte er es einfach schon eine Weile nicht zum Friseur geschafft. Er hatte ein viereckiges Gesicht, eine schlanke Figur und sah irgendwie harmlos aus. Aber an seinem Unterarm spielten die Muskeln, als er die Ellbogen aufstützte und die Fingerspitzen aneinander legte. Auch wenn er keine Werratte gewesen wäre, hätte ich mit ihm kein Armdrücken austragen wollen.
Er war an diesem Sonntag eigens gekommen, um sich mit mir zu unterhalten. Es war auch mein freier Tag. Seit Monaten der erste Sonntag, wo Richard und ich nicht wenigstens miteinander gesprochen hatten. Richard hatte angerufen und abgesagt, es handele sich um Rudelangelegenheiten. Ich hatte keine Fragen stellen können, weil man mit seinem Anrufbeantworter nicht streiten kann. Ich rief ihn nicht zurück. Ich war noch nicht so weit, mit ihm zu reden, nicht nach der vergangenen Nacht.
Heute Morgen kam ich mir vor wie ein Idiot. Ich hatte ja gesagt zu dem Heiratsantrag eines Mannes, den ich nicht kannte. Ich kannte von Richard, was er mir gezeigt hatte, sein äußerliches Gesicht, aber innerlich gab es eine ganze neue Welt, in die ich gerade erst einmal hineingeschaut hatte.
«Was halten Sie und die anderen Professoren von den Fußabdrücken, die die Polizei geschickt hat?« ,,Wir glauben, es ist ein Wolf.« »Ein Wolf? Warum?« »Es
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