Anita Blake 08 - Göttin der Dunkelheit
Damit würde ich die Verstümmelungen, die Morde nicht beenden. Also stand ich da und zwang mich, das erste Foto zu betrachten und zu warten, dass sich ein konkretes Bild einstellte. Das Blut war heller als Filmblut, kirschrot. Sie waren am Tatort gewesen, ehe es zu trocknen anfing.
Ich sprach, ohne mich umzudrehen. »Wieso wurden diese Leichen so bald entdeckt? Das Blut war noch ganz frisch.« »Die Eltern des Ehemanns sollten vor der Arbeit zum Frühstück kommen.« Ich musste wegsehen, auf den Boden. »Das heißt, seine Eltern haben ihn so gefunden?«
»Es kommt noch schlimmer«, sagte Edward. »Wie kann es das?«' fragte ich. »Die Ehefrau hatte ihrer besten Freundin erzählt, dass sie schwanger ist. Bei dem Frühstück wollte sie ihren Schwiegereltern sagen, dass sie zum ersten Mal Großeltern werden.«
Das Teppichmuster verschwamm, als blickte ich durch Wasser. Ich griff nach einem Stuhl und ließ mich langsam darauf nieder, senkte den Kopf zwischen die Knie und atmete sehr vorsichtig.
»Alles in Ordnung?«, fragte Edward.
Ich nickte, ohne aufzublicken. Ich wartete auf eine sarkastische Bemerkung von Olaf, aber die kam nicht. Entweder hatte Edward ihn eingeschüchtert oder er war genauso erschüttert.
Als ich mir sicher war, dass ich nicht brechen oder in Ohnmacht fallen würde, fragte ich mit dem Kopf zwischen den Knien: »Wann kamen die Eltern ins Haus ? Um welche Uhrzeit?« Ich hörte Papier rascheln. »Halb sieben.« Ich lehnte die Wange auf ein Knie. Das war angenehm. »Wann war Sonnenaufgang?« »Das weiß ich nicht«, sagte Edward. »Finde es heraus«, sagte ich. He, der Teppich war wirklich hübsch.
Langsam kam ich hoch, mit schön gleichmäßigen Atemzügen. Das Zimmer verschwamm nicht. Gut. »Die werdenden Großeltern kamen um halb sieben. Es dauerte, sagen wir, zehn Minuten, bis sie sich gefasst hatten und die Polizei riefen. Dann kam die erste Streife zum Tatort. Es mag eine halbe oder eine ganze Stunde, vielleicht auch länger gedauert haben, bis der Fotograf eintraf, und trotzdem war das Blut noch frisch. Es ist nicht matt geworden und schon gar nicht braun.«
»Die Eltern sind fast hineingetreten«, sagte Edward. »Ja.« »Welche Bedeutung hat das ?«, fragte Olaf.
»Wenn Sonnenaufgang kurz vor halb sieben war, dann kann die Kreatur bei Tageslicht herumlaufen oder sie hat ihren Bau in der Nähe des Tatorts. Wenn der Sonnenaufgang später war, dann ist sie vielleicht auf die Dunkelheit beschränkt.«
Edward lächelte wie ein stolzer Vater. »Selbst mit dem Kopf zwischen den Knien denkst du an die Arbeit.« »Aber was nützt es uns, ob die Kreatur auf die Dunkelheit beschränkt ist oder nicht?«, fragte Olaf.
Ich sah zu ihm hoch. Er ragte über mir auf, aber ich blieb sitzen. Sähe nicht sehr abgebrüht aus, wenn ich aufstehen und umkippen würde. »Es ist ein erster Hinweis darauf, womit wir es zu tun haben. Es gibt nicht so viele übernatürliche Wesen, die sich ausschließlich bei Dunkelheit bewegen können. Das macht die Liste etwas kürzer.«
»Und wenn es seinen Schlupfwinkel in Tatortnähe hat, finden wir vielleicht ein paar Spuren«, sagte Edward. Ich nickte. »Genau.«
»Die Polizei hat jeden Zentimeter durchkämmt«, sagte Olaf. »Willst du behaupten, du kannst etwas finden, das sie nicht gesehen haben?« Seine Arroganz kam durch.
»Besonders bei dem ersten Mord suchte die Polizei noch nach einem menschlichen Täter. Wer von einem Menschen ausgeht, hält nach anderen Spuren Ausschau, als wenn der Täter ein Monster ist.« Ich schmunzelte. »Außerdem: Wenn wir nicht glauben würden, dass die Polizei etwas übersehen hat, dann wären wir nicht hier. Edward hätte uns nicht hergerufen, und die Polizei hätte ihm nicht die Akten überlassen.<,
Olaf runzelte die Stirn. »Ich habe dich noch nie so lächeln sehen, Edward, außer wenn du Ted spielst. Du siehst aus wie ein Lehrer, der auf seinen Schüler stolz ist.«
»Mehr wie Frankenstein auf sein Monster«, sagte ich. Edward dachte kurz darüber nach, dann nickte er selbstgefällig grinsend. »Der gefällt mir.« Olaf blickte finster. »Sie ist nicht dein Werk, Edward.«
»Nein«, sagte ich, »aber ich bin auch durch ihn geworden, was ich heute bin.« Edward und ich sahen uns an, unser Lächeln verblasste und ging in Ernstüber. »Soll ich mich dafür entschuldigen?«, fragte er. Ich schüttelte den Kopf. »Bist du der Meinung, du solltest?«
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