Anita Blake 08 - Göttin der Dunkelheit
Edward? Warum stehen wir vor einem Krankenhaus?« »Hier liegen die Überlebenden.« Ich riss die Augen auf. »Welche Überlebenden?«
Er sah mich an. »Die Überlebenden des Überfalls.« Er öffnete seine Tür, und ich packte ihn am Arm, um ihn im Wagen zu behalten.
Langsam drehte sich Edward herum und sah auf meine Hand an seinem nackten Arm. Er sah sehr lange darauf und verströmte seine Missbilligung, aber das war eine Masche, die ich selbst oft genug einsetzte. Wenn man klar macht, dass man sich nicht straflos anfassen lässt, zieht jemand, der keine Gewalt im Sinn hat, die Hand zurück. Ich zog sie nicht zurück. Ich grub die Finger in seine Haut, nicht um ihm wehzutun, sondern um ihm zu zeigen, dass er mich nicht so leicht abschütteln würde.
»Rede mit mir, Edward. Welche Überlebenden?«
Sein Blick wanderte von meiner Hand zu meinem Gesicht. Ich spürte den Drang, ihm die Sonnenbrille wegzureißen, aber ich bezwang mich. Seine Augen würden sowieso nichts verraten.
»Ich habe gesagt, dass es Verletzte gegeben hat.« Sein Ton war nachsichtig. »Nein, hast du nicht. Du hast vielmehr geklungen, als gäbe es keine Überlebenden.« »Mein Fehler«, sagte er. »Quatsch! Ich weiß, wie gern du Informationen zurückhältst, Edward, aber ich finde es allmählich ermüdend.«
»Lass meinen Arm los.« Es klang wie ein »Hallo« oder »schöner Tag heute«, völlig nebensächlich. »Wirst du meine Fragen beantworten, wenn ich es tue?« »Nein«, antwortete er mit der gleichen bedeutungslosen Freundlichkeit. »Aber wenn du dich mit mir anlegen willst, Anita, sehe ich mich genötigt, mich von deiner Hand zu befreien. Das würde dir nicht gefallen.«
Sein Tonfall änderte sich kein bisschen. Er behielt sogar das leichte Lächeln bei. Aber ich ließ ihn los, langsam, und zog mich auf meinen Sitz zurück. Wenn Edward sagte, es würde mir nicht gefallen, dann glaubte ich ihm.
»Sprich mit mir, Edward.« Er schenkte mir ein breites, vertrauenheischendes Lächeln. »Nenn mich Ted.« Dann stieg der Mistkerl aus dem Wagen. Ich blieb sitzen und sah zu, wie er über den Parkplatz ging. Am Rand der schmalen Straße vor dem Krankenhaus blieb er stehen. Er nahm die Sonnenbrille ab, hängte sie mit einem Bügel in die Knopfleiste des Hemdes und blickte wartend zu mir zurück.
Es würde ihm recht geschehen, wenn ich mich weigerte auszusteigen. Es würde ihm recht geschehen, wenn ich nach St. Louis zurückfliegen würde und ihn seinen Scheiß allein machen ließe. Doch ich öffnete die Wagentür und stieg aus. Sie fragen sich vielleicht, warum. Erstens: Er hatte mich um einen Gefallen gebeten, und wie ich ihn kannte, würde er mir alles zu einem sadistischen Zeitpunkt offenbaren. Zweitens: Ich wollte es wissen. Ich wollte wissen, was da endlich seine Kälte durchdrungen und ihm Angst eingejagt hatte. Ich war neugierig. Neugier kann eine Stärke und eine Schwäche sein. Um welche Art es sich hier handelte, würde sich erst später herausstellen. Ich tippte auf Schwäche.
Das Samt Lucia Hospital war groß und hatte, was in Albuquerque scheinbar selten war, keinen folkloristischen Einschlag. Es war nur ein großes, klotziges, gewöhnliches Krankenhaus. Vielleicht rechnete man nicht mit Touristenbesuchen.
Wie üblich war es drinnen adrett, aber es blieb ein Krankenhaus. Wo ich nur hingehe, wenn etwas schiefgegangen ist. Das einzig Erfreuliche diesmal war, dass weder ich noch ein Bekannter dort lag.
Wir gingen durch einen langen, hellen Flur mit lauter verschlossenen Türen, aber vor einer stand ein Polizist in Uniform. Ich hatte so eine Ahnung, dass das unser Raum war.
Edward ging zu dem Polizisten und nannte seinen Namen. Er gab sich harmlos und jovial, auf eine gedämpfte, krankenhaustaugliche Art. Sie wussten beide, mit wem sie es zu tun hatten, was die Dinge erheblich hätte beschleunigen können.
Der Uniformierte sah an Edward vorbei zu mir. Er war noch jung, aber seine Augen waren kühl und grau, Polizistenaugen. Man muss eine Weile dabei sein, ehe man diesen leeren Blick entwickelt. Doch er musterte mich zu lange und zu eingehend. Fast spürte man den Testosteronanstieg. Der herausfordernde Blick hieß entweder, dass er sich seiner Männlichkeit, seiner Polizeitauglichkeit unsicher war oder dass er doch noch nicht so lange dabei war. Kein Anfänger, aber viel mehr auch noch nicht.
Wenn er erwartete, dass ich unter seinem prüfenden Blick zusammenzuckte,
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