Anita Blake 08 - Göttin der Dunkelheit
Kanne mit heißem Wasser stand, eine Spüle und eine Mikrowelle.
Dr. Evans hatte sich für seinen Tee von dem heißen Wasser genommen. Daneben standen weiße Plastiklöffel in einer offenen Packung und ein Becher mit diesen nutzlosen Rührern, eine Auswahl an Zucker und verschiedenen Süßstoffen. Auf der Arbeitsfläche hatte sich eine kreisrunde Kruste aus Milchpulver gebildet, die den Durchmesser einer Tasse hatte. Ich konzentrierte mich auf diese Einzelheiten und versuchte, nicht zu denken. Nur ein paar Augenblicke lang wollte ich meinen Kaffee trinken und nichts denken. Ich hatte vorher nichts gegessen, und jetzt wollte ich nichts mehr.
»Sie wollten mich einiges fragen, Ms Blake«, sagte Dr. Evans in die Stille hinein.
Ich zuckte zusammen und Marks ebenfalls. Nur Edward rührte sich nicht, sondern beobachtete uns alle mit seinen blauen Augen, als wäre er unberührt von Anspannung und Entsetzen.
Vielleicht war er das, oder er spielte uns etwas vor. Ich konnte das nicht mehr einschätzen.
Ich nickte und wandte mich ihm zu. »Wie haben sie das alle überlebt?« Er neigte den Kopf zur Seite. »Meinen Sie das technisch? Die medizinischen Details?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich meine, ein einzelner Mensch kann solch ein Trauma schon überleben, vielleicht gibt es sogar zwei, das würde ich glauben. Aber die meisten Leute würden es nicht überleben, oder irre ich mich?«
Evans schob seine Brille höher auf die Nase. »Nein, Sie irren sich nicht.« »Wie konnten sie dann alle sechs überleben?« Er sah mich stirnrunzelnd an. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie richtig verstehe, Ms Blake.«
»Ich frage, wie groß die Chance ist, dass sechs Menschen verschiedenen Alters und Geschlechts, unterschiedlicher Herkunft, körperlicher Fitness usw. solche Verletzungen überleben. Soweit ich weiß, haben alle Opfer, die gehäutet wurden, überlebt, richtig?«
»ja.« Evans betrachtete mich eingehend, seine hellen Augen forschten in meinem Gesicht, warteten, dass ich weiterredete. »Wieso konnten sie das ?« »Weil sie zähe Burschen sind«, antwortete Marks. Ich sah den Lieutenant an, dann Evans. »Sind sie das?« »Was?« »Zähe Burschen?«
Er senkte den Blick, um nachzudenken. »Zwei der Männer betrieben regelmäßig Sport, eine der Frauen war Marathonläuferin. Die anderen drei sind normaler Durchschnitt. Ein Mann ist über sechzig und unsportlich. Eine Frau über dreißig, die ...« Er sah mich an. »Nein, das sind keine besonders zähen Charaktere, zumindest nicht in physischer Hinsicht. Aber ich habe oft festgestellt, dass Leute, die nicht besonders kräftig oder ausdauernd sind, am längsten unter der Folter leben. Der harte Bursche gibt gewöhnlich als Erster auf.«
Ich zwang mich, nicht zu Edward zu blicken, aber es war mühsam. »Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Ist jemand, der das Gleiche durchgemacht hat wie diese sechs, gestorben ?«
Er blickte ins Leere, wie um sich zu erinnern, dann sah er mich an. »Nein, die einzigen Toten sind die, die zerrissen wurden.« »Dann frage ich noch mal: Warum sind sie noch am Leben? Wieso ist nicht wenigstens einer durch Schock, Blutverlust oder Herzschwäche oder vor lauter Entsetzen gestorben?«
»Man stirbt nicht vor Entsetzen«, sagte Marks. Ich sah ihn an. »Sind Sie da so sicher, Lieutenant ?« Sein gutaussehendes Gesicht wirkte schlecht gelaunt und stur. »Ja, das bin ich.«
Ich wischte die Antwort beiseite. Mit Marks würde ich mich später befassen. Im Augenblick verfolgte ich einen bestimmten Punkt. »Wie konnten alle sechs überleben? Nicht warum diese sechs, sondern warum alle sechs ?«
Evans nickte. »Ich verstehe. Es wäre damit zu rechnen gewesen, dass ein paar dabei sterben, aber sie haben überlebt.« »Genau.« »Der Täter ist ein Fachmann«, meinte Marks. »Er weiß, wie man jemanden am Leben erhält.«
»Nein«, widersprach Edward. »Ein Folterer kann noch so gut sein, er kann nicht jeden am Leben erhalten. Wenn er jedem genau dasselbe antut, werden einige sterben und andere leben.
Er kann nie wissen, wer es schafft und wer nicht.« Er sagte das sehr leise, aber seine Stimme füllte den Raum.
Doktor Evans sah ihn an und nickte. »Ja, selbst ein Experte kann nicht bewirken, dass sechs Menschen diese Tortur überleben. Einige würden ihm sterben. Was das betrifft, weiß ich auch nicht, wieso sie noch am Leben sind. Und warum hat keiner eine
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