Anita Blake 08 - Göttin der Dunkelheit
Keiner wird Sie berühren.«
Ich weiß nicht, warum ich ihm glaubte, aber ich tat es. Ich gesellte mich zu der Beinahe-Orgie und versuchte, nicht so betreten zu wirken, wie ich mich fühlte. Dann wurde eine große weiße Leinwand von der Decke herabgelassen, und bevor sie ganz den Boden erreichte, zog mich der Priester beiseite. Eine Frau, die etwa mein Erscheinungsbild hatte, kam auf die Bühne zu der Miniorgie, und ein Jaguar trug die Blonde weg. Eine ähnliche Frau nahm ihren Platz ein. Sie ersetzten jeden, auch Cesar, durch Schauspieler, die hinter der Leinwand eine Orgie als Schattenspiel darboten, vergrößert fürs Publikum. Sie glichen zumindest in den Umrissen den alten Akteuren. Darum also hatten sie jemanden von meiner Statur gesucht.
Die Schauspieler gestikulierten bloß, aber auf der Zuschauerseite der Leinwand musste es schrecklich echt erscheinen. Die Kleider flogen, und die Frauen waren oben ohne. Ich fragte mich, ob die Schatten genauso nackt wirkten. Der Priester zog mich weg, bis wir in einem kleinen Gang zwischen Vorhängen standen. Er sprach leise, aber ohne zu flüstern. Offenbar konnten wir uns hier unterhalten, ohne auf der Bühne gehört zu werden. »Wir hätten Sie keinesfalls ausgesucht, wenn wir Sie nicht für einen Menschen gehalten hätten. Wir bitten vielmals um Entschuldigung.«
Ich zuckte die Achseln. »Es ist nichts passiert.«
Er sah mich an, und in seinen Augen lag ein tiefes Wissen, vor dem ich nicht lügen konnte. »Sie fürchten, was in Ihnen liegt, und haben noch keinen Frieden damit geschlossen.«
Soweit hatte er recht. »Ja, das stimmt.«
»Sie müssen annehmen, was Sie sind, sonst werden Sie nie wissen, was Ihr Platz in der Welt, Ihr wahrer Zweck ist.«
»Nehmen Sie's mir nicht übel, aber ich kann heute Abend keine Belehrung gebrauchen.«
Er runzelte die Stirn, und ich sah Ärger aufkeimen. Er war es nicht gewohnt, solche Antworten zu bekommen. Ich wettete, dass alle Angst vor ihm hatten. Hätte ich vielleicht auch haben sollen, aber was an Angst vor ihm oder den anderen in mir gesteckt hatte, war in dem Moment verschwunden, als ich ein Stück aus Cesars Hals beißen wollte. Das erschreckte mich mehr als alles, was sie mir heute Nacht vielleicht antun konnten. Okay, mehr als fast alles. Man sollte die Erfindungsgabe eines jahrhundertealten Wesens nie unterschätzen. Die meisten wissen mehr über Schmerzen, als wir Menschen je wissen werden. Außer wir haben wirklich sehr großes Pech. Ich war entweder sehr zuversichtlich oder sehr dämlich.
Er gab einen Wink, worauf der Werjaguar, der mich ausgesucht hatte, zu uns kam. Er fiel auf ein Knie und beugte den Kopf. Der Priester sagte: »Du hast diese Frau erwählt.«
«Ja, Pinotl« »Hast du ihr Tier nicht gespürt?« Der Kniende senkte den Kopf noch tiefer. »Nein, Gebieter.« »Wähle«, sagte der Priester.
Der andere zog ein Messer aus dem Gürtel. Der Griff war ein Türkis in Gestalt eines Jaguars, die Klinge fünfzehn Zentimeter lang und aus Obsidian. Er hielt es dem Priester hin, der es so ehrfürchtig nahm, wie es ihm dargebracht wurde. Der Jaguar löste eine versteckte Klammer an seinem Kostüm und schob das Kopfteil in den Nacken, sodass sein eigener Kopf zum Vorschein kam. Seine Haare waren dick und lang und am Hinterkopf zu einer Keule zusammengeschnürt. Er hob sein dunkles Gesicht, das so kantig und fein gemeißelt war wie das Relief eines Aztekentempels. Wenn man auf Mesoamerikaner stand, war sein Profil perfekt.
Er sah den Priester an. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos, nur ruhiges Abwarten.
Aus dem Zuschauerraum ertönte ein Aufschrei, bei dem ich kurz den Kopf drehte, aber bevor ich deutlicher sah, was geschah, wandte ich mich wieder dem Priester und dem Jaguar zu. Ich hatte nur halbnackte Leiber und einen großen umgeschnallten Phallus gesehen. Normalerweise hätte mich der zu einem zweiten Blick veranlasst, nur um zu sehen, ob ich mich nicht verguckt hatte, aber egal was jetzt hinter der Leinwand passierte, die eigentliche Show spielte sich hier ab, in dem gelassenen, emporgerichteten Gesicht des Knienden und den ernsten Augen des Priesters, dem matten Glanz der schwarzen
Klinge. Egal welche Requisiten auf der Bühne sonst noch zuni Einsatz kämen, nichts konnte an die Szene zwischen diesen beiden Männern heranreichen, an die stille Intensität, die sich zwischen ihnen aufbaute.
Mir war nicht ganz klar, was passieren sollte,
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