Anita Blake 10 - Ruf des Bluts
sadistisches Miststück war, hatten wir alle Angst voreinander. In einem normalen Rudel sind alle viel zutraulicher, zwangloser miteinander.« »Wie zwanglos?«, fragte ich.
Er lächelte ein bisschen traurig. »Frag Jamil. Er wird es dir erklären, und Jason auch.« Er schien noch zu überlegen. »Was ist mit den Werleoparden und den Vampiren?«
»Ich habe Verne schon gefragt. Sie sind heute Nacht unsere Gäste.« »Eine große, glückliche Familie«, sagte ich. Richard sah mich an, lange und prüfend. Ich musste mich zusammenreißen, um seinem Blick standzuhalten. »Das könnt. sie sein, Anita, das könnte sie wirklich sein.« Damit drehte er sich um und ging.
Ich sah ihm nach und war nicht sicher, was ich mit dieser Bemerkung anfangen sollte. Ich hatte mich immer gefragt, warum er sich auf mich eingelassen hatte, bis ich seine Mutter kennen lernte. Ich brauchte damals drei Sonntagsessen, um zu begreifen, warum Charlotte und ich immer entweder völlig übereinstimmten oder gegensätzliche Ansichten vertraten. Wir waren uns zu ähnlich. Eine Familie kann genau wie ein Rudel nur soundso viele Alphas verkraften, sonst bricht sie auseinander. Nur Richards Bruder Glenn war zurzeit verheiratet, und seine Frau und Charlotte gerieten ständig aneinander. Aaron war Witwer. Die Auseinandersetzungen zwischen seiner verstorbenen Frau und Charlotte waren in der Familie legendär. Alle hatten sie eine Frau geheiratet, die ihrer Mutter ähnelte. Glenns Frau, eine Navajo, war ebenfalls klein und hart. Für diesen Typ schienen alle Zeeman-Männer eine Vorliebe zu haben.
Beverly, die einzige Tochter und die Älteste der Geschwister, war wunderbar dominant. Sie und Charlotte hätten die Zeit ihrer Pubertät fast nicht überlebt, wenn man Glenn und Aaron glauben durfte. Bev hatte sich schließlich beruhigt, war aufs College gegangen, hatte geheiratet und war gerade mit ihrem fünften Kind schwanger. Sie hatte schon vier jungen und versuchte jetzt ein letztes Mal, ein Mädchen zu bekommen.
Ich hatte Richards Familie so viel Aufmerksamkeit geschenkt, weil ich glaubte, sie würde auch meine Familie werden. Daraus schien nun nichts mehr zu werden. Auch gut. Ich hatte genug Probleme mit meiner eigenen. Wer brauchte da eine zweite?
12
Alle waren in Werwolfetikette versammelt. Ich saß zusammen mit Cherry am Fußende des Bettes. Sie hatte sich die schwarze Schminke abgewaschen, und ihr Gesicht war blass und jung und mit goldenen Sommersprossen bestäubt. Ich wusste, dass sie so alt war wie ich, fünfundzwanzig, aber ungeschminkt sah sie viel jünger aus. Wie die kleine noch unschuldige Schwester. Die neuen Klamotten unterstützten diesen Eindruck. Sie hatte sich eine ausgeblichene Jeans und ein weites T-Shirt angezogen. Sachen, wo es nichts ausmachte, wenn man plötzlich die Gestalt wechselte. So kurz vor dem Vollmond konnte es sie auch früher überkommen. So wurde mir gesagt. So habe ich es schon erlebt.
Zarte lehnte gegenüber an der Wand, nur in einer Jeans mit Löchern an den Knien. Den Brustwarzenring hatte er drin gelassen. Er fiel sofort ins Auge.
Jason trug Shorts, die mal als Jeans angefangen hatten. Sie waren stark ausgefranst, als hätte er daran herumgespielt. Ansonsten hatte er nur ein paar alte Joggingschuhe an, keine Socken. Er lag auf dem Bauch mit dem Kopf zu uns und meinem Kopfkissen unter dem Kinn, die Knie angewinkelt, und ließ die Füße langsam hin und her pendeln, während er Jamil zuhörte.
Der schritt in seinem Smiley-Shirt vor uns auf und ab. Er hatte sich die Schuhe abgestreift und lief auf glatten, dunklen Füßen. Seine Kräfte umgaben ihn wie eine knisternde Spannung. Der Mond war fast voll, da brachen sie leicht hervor.
Eigentlich hatten wir auch Nathaniel mit einbeziehen wollen, aber wir konnten ihn nicht finden. Das gefiel mir gar nicht. Ich war zu einer großen Suchaktion bereit, aber Zane hatte ihn mit einer der Werwölfinnen weggehen sehen. Damit schien ein kleines Schäferstündchen verbunden zu sein. Also keine Suchaktion, aber ich war trotzdem nicht zufrieden. Ich wusste zwar nicht warum, aber es war so.
Auch Nathaniel sollte ein paar grundlegende Begrüßungen lernen, denn er war mein. Niemand war je einer Lupa begegnet, die zugleich Nimir-Ra eines Leopardenrudels war, und Verne hatte entschieden, dass die Leoparden deshalb einbezogen werden sollten. Also nahmen sie ebenfalls an der kleinen Unterrichtsstunde teil. Ich hatte
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