Anita Blake 11 - Jägerin des Zwielichts
hätte ich dich jetzt zur Begrüßung umarmt«, sagte ich.
Sein Grinsen wurde noch breiter. »Tja, der Anzug ist eine Strafe. Jean-Claude hat mir befohlen, hier auf dich zu warten und dich reinzubringen. Mein Arm ist schon gestempelt, sodass wir direkt durchgehen können.«
»Ein bisschen kühl für solche Klamotten, oder?«
»Was glaubst du, warum ich in einem Pulk von Leuten gestanden habe?« Er bot mir seinen Arm. »Darf ich Sie hineingeleiten, Verehrteste?«
Ich hakte mich von links bei ihm ein. Wenn das schon alles war, was ich an Neckerei von ihm zu erwarten hatte, dann war er ein gutes Stück erwachsener geworden. Der Netzstoff war rauer, als er aussah, ziemlich kratzig sogar.
Als Jason mit mir die Stufen hinaufging, musste ich einmal an seiner Rückseite hinabspähen. Was vorne seine Weichteile verbarg, entpuppte sich hinten als String, sodass sein Hintern unter dem feinen Silberglanz komplett zu sehen war. Das Hemd ließ, wenn er sich bewegte, einen Streifen Bauch frei und saß locker genug, dass ich etwas von seiner glatten Schulter zu sehen bekam, als er mir die freie Hand auf den Arm legte.
In der Tür traf mich die Musik wie die Faust eines Riesen. Fast als müsste man durch eine Wand. Als Tanzschuppen hatte ich mir das Narziss in Ketten nicht vorgestellt. Aber abgesehen von der exotischen, lederlastigen Kleidung der Stammkundschaft sah er aus wie viele andere Clubs auch. Der Raum war groß, schummrig beleuchtet, in den Ecken dunkel und mit Leuten überfüllt, die sich wild zu der viel zu lauten Musik bewegten.
Ich hielt Jasons Arm ein bisschen fester, denn offen gestanden fühle ich mich in solch einer Umgebung immer überwältigt. Zumindest in den ersten Minuten. Ich bräuchte eine Druckschleuse zwischen der Außen- und der Innenwelt, ein paar Augenblicke zum Durchatmen und Anpassen. Aber diese Clubs sind nicht zum Durchatmen gemacht. Sie setzen einen der totalen Reizüberflutung aus und denken, dass man irgendwie überlebt.
Apropos Reizüberflutung. Jean-Claude stand an der Wand neben der Tanzfläche. Seine fast taillenlangen schwarzen Haare fielen ihm in weichen Locken um die Schultern. Ich wusste gar nicht mehr, dass sie so lang waren. Er hatte den Kopf weggedreht und sah den Tänzern zu, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Aber wenigstens seine Aufmachung. Er trug ein schwarzes, ärmelloses Latexhemd, das wie angegossen aussah. Mir fiel ein, dass ich ihn noch nie in etwas Ärmellosem gesehen hatte. Neben dem glänzenden Schwarz sahen seine Arme unglaublich weiß aus, fast als leuchteten sie von innen heraus. Das taten sie natürlich nicht. Jean-Claude wäre nie so ordinär, seine Kräfte in der Öffentlichkeit zu demonstrieren. Seine Hose war aus dem gleichen Material und betonte die langen Linien seines Körpers. Er sah aus wie in flüssiges Leder getaucht. Die Latexstiefel reichten bis übers Knie und glänzten wie mit Spucke poliert. Alles an ihm glänzte, die dunkle Kleidung und die weiße Haut. Dann drehte er abrupt den Kopf, als hätte er meinen Blick gespürt.
Ich hielt den Atem an. Er war schön, zum Weinen schön, auf maskuline Art, aber hart an der Grenze zum Femininen. Nicht androgyn, aber nah dran.
Er kam mir entgegen und wirkte dabei vollkommen männlich. Der Gang, die Haltung der Schultern - so bewegte sich keine Frau.
Jason tätschelte mir die Hand.
Ich zuckte zusammen und blickte ihn an.
Er kam mit dem Mund an mein Ohr und sagte: »Atmen, Anita, das Atmen nicht vergessen.«
Ich wurde rot, weil Jean-Claude genau diese Wirkung auf mich hatte - als wäre ich vierzehn und total verknallt. Jason klemmte meinen Arm ein, als glaubte er, ich wollte davonlaufen. Keine schlechte Idee. Aber Jean-Claude war nur noch zwei Schritte entfernt. Als ich zum ersten Mal die blaugrünen Wellen des Karibischen Meeres sah, weinte ich, weil es so schön war. Jean-Claude löst in mir das gleiche Gefühl aus. Es war, als bekäme ich einen echten da Vinci geschenkt, aber nicht zum Aufhängen und Bewundern, sondern um sich darauf herumzuwälzen. Es kam mir geradezu unangemessen vor. Doch ich stand da, klammerte mich an Jasons Arm und hatte solches Herzklopfen, dass ich kaum die Musik hörte. Ich hatte Angst, nicht die Angst vor dem Messer im Dunkeln, sondern mehr die Schreckstarre des Kaninchens im Scheinwerferkegel. Ich war wie immer bei Jean-Claude zwischen zwei widerstreitenden Instinkten gefangen: Einerseits wollte ich zu ihm
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