Anita Blake 11 - Jägerin des Zwielichts
Außerdem, mon ami, macht es nichts ungeschehen, wenn du ihn verletzt. Es würde das vergossene Blut um keinen Tropfen, das Fleisch um kein Pfund verringern, keine Erniedrigung aufheben. Es ist vorbei, und Erinnerungen können uns nichts tun.«
In dem Moment fragte ich mich, ob Richard und ich dieselben Erinnerungen empfangen hatten. Was ich gesehen hatte, war schrecklich gewesen, aber es hatte mich nicht derartig aufgewühlt wie ihn. Vielleicht weil er ein Mann war. Ein weißer, angelsächsischer Mann der oberen Mittelklasse ertrug Erinnerungen an Misshandlung und Vergewaltigung vielleicht schlechter. Ich war eine Frau. Ich wusste, dass mir solche Dinge jederzeit passieren konnten. Ihm war vielleicht nie der Gedanke gekommen.
Richards Stimme wurde tief, bekam ein schlingerndes Knurren, als ob sein Tier hinter dieser hübschen Kehle lauerte. »Fass ihn nie wieder an, Narcissus, oder wir bringen das hier zu Ende.« Dann zog er langsam und vorsichtig die Hände weg. Ich glaubte, Narcissus würde sich schleunigst zurückziehen und sich das schmerzende Gelenk halten, aber ich hatte ihn unterschätzt. Oder vielleicht überschätzt.
Narcissus hielt sich zwar das Handgelenk, blieb aber an Richard gelehnt. »Das ist ein Bänderriss. Der heilt langsamer als ein Knochenbruch.«
»Ich weiß«, sagte Richard leise. Die Wut, die in diesen beiden Wörtern steckte, erschreckte mich.
»Ich kann meinen Leuten per Gedankenübertragung befehlen, eure Werleoparden ihrem Schicksal zu überlassen.«
Richard schaute fragend zu Jean-Claude, der nickte. »Narcissus kann seine ... Leute gedanklich ansprechen.«
Richard packte Narcissus bei den Schultern, wahrscheinlich um ihn wegzustoßen, doch Narcissus sagte: »Du hast euer Recht auf sicheres Geleit verwirkt, indem du mich gegen meinen Willen verletzt hast.«
Richard erstarrte, und ich spürte seine plötzliche Verunsicherung.
»Was redet er da?«, fragte ich an niemand Bestimmtes gerichtet.
»Narcissus hat ein kleines Heer von Werhyänen im Haus und auf den umliegenden Dächern postiert«, erklärte Jean-Claude.
»Wenn die Werhyänen so mächtig sind, warum werden sie dann nicht in einem Atemzug mit den Wölfen und Ratten genannt?«, fragte ich.
»Weil Narcissus es vorzieht, die Macht hinter dem Thron zu sein, ma petite. Das bedeutet, dass die übrigen Gestaltwandler sich ständig mit Geschenken bei ihm lieb Kind machen.«
»Wie schon Nikolaos.«
Er nickte.
»Was hast du ihm geschenkt?«, fragte ich Richard.
Richard rückte von Narcissus ab. »Nichts.«
Narcissus drehte sich auf dem Bett herum und hielt immer noch sein Handgelenk. »Das wird sich jetzt ändern.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Richard.
»Marcus und Raina hatten eine Vereinbarung mit mir. Sie und die Ratten legten damals fest, dass meine Hyänen die Zahl von fünfzig nicht übersteigen durften. Aber das setzten sie mit Geschenken, nicht mit Drohungen durch.«
»Die Drohung war trotzdem da«, sagte Richard. »Bei einem Krieg zwischen uns und euch wärt ihr auf der Verliererseite gewesen.«
Narcissus zuckte die Achseln. »Schon möglich. Aber hast du nie überlegt, was ich getan habe, seit Marcus starb und du seinen Platz einnahmst? Ich habe mich gefragt, wann die Geschenke wieder eintreffen würden, aber es kamen keine mehr, nicht einmal die, auf die ich mich verlassen hatte.« Dabei sah er mich an. »Einige Geschenke hätten von dir kommen müssen, Nimir-Ra.«
Meine Verwirrung war mir wohl anzusehen, denn Jean-Claude sagte: »Die Werleoparden.«
»Ja, Gabriel, ihr damaliger Alpha, war ein sehr geschätzter Freund von mir«, sagte Narcissus.
Da ich Gabriel getötet hatte, gefiel mir gar nicht, welche Richtung die Unterhaltung nahm. »Sie meinen, er hat Ihnen welche von den Werleoparden überlassen?«
Narcissus' Lächeln jagte mir einen Schauer über den Rücken. »Alle sind mal in meiner Obhut gewesen außer Nathaniel.« Sein Lächeln verblasste. »Ich nahm an, dass Gabriel ihn für sich selbst behielt, als persönlichen Favoriten, aber seit ich von dir erfahren habe, wie Nathaniel ist, weiß ich, dass er andere Gründe hatte.« Er beugte sich kniend zu mir heran. »Gabriel hatte Angst, ihn mir zu geben. Er fürchtete, was wir miteinander tun könnten.«
Ich schluckte mühsam. »Als ich das erwähnte, haben Sie Ihre Gedanken gut verborgen.«
»Ich bin ein vollendeter Lügner, Anita. Merk dir
Weitere Kostenlose Bücher