Anita Blake 11 - Jägerin des Zwielichts
Blick hatte etwas ... Mitleidiges. Mitleid? Das lief bei mir nicht. Nicht wenn ich der Gegenstand des Mitleids war.
»Ihr meint das ernst«, stellte ich fest.
»Du entwickelst alle Symptome«, sagte er. »Schnelle Heilung mit anschließendem Muskelkrampf. Hohes Fieber, das einen Menschen umbringen würde. Und als wir es künstlich senken wollten, wärst du fast gestorben. Du hast die ständige Körperwärme des Rudels gebraucht, und damit haben wir dich auf die Beine gebracht. Das hätte nicht funktioniert, wenn du keine von uns wärst.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.«
»Das ist in Ordnung«, meinte er. »Es sind noch zwei Wochen bis zum Vollmond. Vorher wirst du dich nicht verwandeln. Du hast also noch Zeit.«
»Zeit wofür?«
»Zum Trauern.«
Ich drehte mich weg, konnte seinen mitfühlenden Blick nicht mehr ertragen. Scheiße. Ich glaubte es noch immer nicht. »Wie wär's mit einem Bluttest? Dann wissen wir's genau.«
»Wolfslykanthropie lässt sich im Blut zwischen dem zweiten und dem vierten, längstens dem fünften Tag nachweisen. Bei Leoparden wie bei den meisten Großkatzen ist ein Nachweis erst nach dem fünften Tag möglich. Ein Bluttest würde jetzt also gar nichts bringen.«
Ich starrte sie an, versuchte, das zu begreifen, was aber nicht klappte. Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann mich jetzt nicht damit befassen.«
»Das wirst du aber tun müssen«, hielt Micah mir entgegen.
Ich schüttelte wieder den Kopf. »Jetzt muss ich erst mal Jean-Claude aus dem Gefängnis holen. Ich muss der Polizei zeigen, dass ich nicht tot bin.«
»Dein Rudel hat mir gesagt, du würdest dich auf keinen Fall outen, weil deine Freunde bei der Polizei davon nichts wissen dürfen.«
»Ich bin kein Werleopard«, beharrte ich. Das klang selbst für meine Ohren starrhalsig.
Micah lächelte mich nachsichtig an, und das machte mich sauer. »Guck mich nicht so an.«
»Wie gucke ich denn?«, fragte er.
»Als wäre ich ein kleines Mädchen, das sich Illusionen macht. Es gibt einiges, das du nicht über mich weißt, zum Beispiel woher meine Macht kommt.«
»Du meinst die Vampirzeichen«, sagte er.
Ich sah an ihm vorbei zu den drei Werleoparden in der Tür. Bei meinem Gesichtsausdruck zogen sie den Kopf ein. »Ist ja schön, dass ihr eine so große, glückliche Familie seid, wo jeder alles vom andern weiß.«
»Ich war dabei, als die Ärzte erörterten, ob deine schnelle Heilung vielleicht eine Wirkung der Vampirzeichen sein könnte«, erklärte er.
»Natürlich ist sie das«, sagte ich. Aber der erste Zweifel nagte an mir.
»Wenn du dich damit besser fühlst.«
Ich sah sein Mitleid, und Wut kochte in mir hoch. Mit dem Zorn kam diese bebende Energie, Richards Tier ... oder meines? Ich erlaubte mir zum ersten Mal, den Gedanken zu Ende zu führen. War es mein eigenes Tier, das ich mit Micah zusammen gespürt hatte? Konnte ich deshalb nicht spüren, wo Richard war und was er machte? Ich hatte bei dem ganzen Tamtam mehrere Male an ihn gedacht, aber keine Verbindung gefühlt. Ich hatte angenommen, es seien Richards Kräfte, die in mir wirkten, weil es Lykanthropenkräfte waren. Aber was, wenn nicht? Wenn es tatsächlich mein eigenes Tier gewesen war?
Jemand berührte mich am Arm. Ich fuhr zusammen. Micah stand vor mir. »Du siehst blass aus. Möchtest du dich irgendwo setzen?«
Ich wich einen Schritt zurück und rutschte auf den glatten Fliesen aus. Er musste mich auffangen. Ich wollte ihn abwehren, aber mir war schwindlig, als hätte die Welt ihre Festigkeit verloren. Er ließ mich zum Boden hinab.
»Lass den Kopf zwischen den Knien hängen.«
Ich saß an der Duschwand mit angezogenen Beinen und beugte den Kopf nach vorn, bis der Schwindel nachließ. Ich wurde nie ohnmächtig. Nicht vor Schreck - vom Blutverlust manchmal, aber nie vor Schreck.
Als ich wieder geradeaus denken konnte, hob ich langsam den Kopf. Micah kniete neben mir, ganz Fürsorglichkeit und Mitgefühl. Ich hasste ihn. Ich lehnte meinen handtuchumwickelten Rücken an und schloss die Augen.
»Wo sind Elizabeth und Gregory?«
»Elizabeth wollte nicht helfen kommen«, sagte Micah.
Ich machte die Augen auf und drehte den Kopf zu ihm. »Hat sie einen Grund genannt?«
»Sie hasst dich«, antwortete er schlicht.
»Ja, sie hat Gabriel geliebt, ihren alten Alpha, und ich habe ihn getötet. Da fällt es schwer,
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