Anita Blake 11 - Jägerin des Zwielichts
hätte sagen sollen. Ich wollte nicht wissen, mit wem Dolph von seiner Frau betrogen wurde. Er hatte zwei Söhne, keine Töchter, um wen konnte es also sonst gehen?
Zerbrowski ging schweigend mit mir zum Büro zurück. Als wir eintraten, drehte sich ein Mann nach uns um. Er war groß, dunkelhaarig, an den Schläfen grau. Die klaren, kantigen Gesichtszüge begannen schon weicher zu werden, aber er hatte noch die alte harsche Männlichkeit. Er kam mir bekannt vor. Aber erst ich die Krallennarben am Hals entdeckte, erkannte ich ihn wieder. Orlando King war einer der eifrigsten Kopfgeldjäger im Land gewesen, bis ein Gestaltwandler ihn beinahe umgebracht hätte. Welches Wertier, darüber gingen die Meinungen auseinander. Die einen behaupteten Wolf, die anderen Bär oder Leopard. Die Geschichte war reichlich ausgeschmückt worden, und ich bezweifelte, dass außer King jemand die Wahrheit kannte. Außer King und den beteiligten Gestaltwandlern, sofern sie nicht dabei draufgegangen waren. King stand in dem Ruf, niemals eine Beute zu verlieren, nie aufzugeben. Er verdiente gutes Geld, indem er durch die Lande tourte und Vorträge hielt. Am Schluss zog er immer das Hemd aus und präsentierte seine Narben. Für meinen Geschmack war das ein bisschen zu sehr wie Zirkus, aber na ja, es war sein Körper. Nebenbei arbeitete er auch als Berater der Polizei.
»Anita Blake, das ist Orlando King«, sagte Zerbrowski. »Er sollte uns helfen, Graf Dracula des Mordes an Ihnen zu überführen.«
Ich schoss ihm einen bösen Blick zu, und sein Grinsen wurde noch breiter. Er würde Jean-Claude so lange mit diesem Namen belegen, bis ich aufhörte, mich darüber zu ärgern. Je eher ich es ignorierte, desto besser.
»Ms. Blake«, sagte King mit seiner tiefen volltönenden Stimme, die ich von seinen Vorträgen kannte, »freut mich sehr, Sie lebendig zu sehen.«
»Ja, das Leben ist schön, Mr. King. Ich hörte neulich, dass Sie an der Westküste Vorträge halten. Ich hoffe, sie haben die Reise nicht eigens unterbrochen, um den Mord an mir aufzuklären.«
Er zuckte die Achseln auf eine Art, die ihn noch größer und breiter wirken ließ. »Es gibt so wenige, die ernsthaft den Kampf gegen die Monster aufnehmen - wie sollte ich da nicht herkommen?«
»Ich fühle mich geschmeichelt«, sagte ich. »Ich bin mal bei einem Ihrer Vorträge gewesen.«
»Und hinterher sind Sie zu mir gekommen, und wir haben uns unterhalten.«
»Wirklich schmeichelhaft, dass Sie sich erinnern. Sie sprechen doch jedes Jahr mit Tausenden von Leuten.«
Er lächelte und tippte ganz leicht meinen linken Arm an. »Aber selten mit jemandem, der meine Narben toppen kann. Und mit keinem aus unserer Branche, der so hübsch ist.«
»Danke.« Er war zwei Generationen älter als ich. Komplimente waren vermutlich eine alte Angewohnheit.
Zerbrowski grinste mich an. Er glaubte nicht, dass King lediglich höflich war. Ich ging achselzuckend darüber hinweg. Nach meiner Erfahrung hören Männer auf zu flirten, wenn man es lange genug ignoriert.
»Freut mich, Sie wiederzusehen, Ms. Blake. Vor allem lebendig. Aber Sie sind bestimmt in Eile, wenn Sie Ihren Vampirfreund vor dem ersten Tageslicht nach Hause bringen wollen.« Ich hörte nicht das geringste Zögern vor dem Wort Vampirfreund. Ich forschte in seinem Gesicht. Es war neutral. Keine Verachtung, nichts als ein wohlwollendes Lächeln. Nach Dolphs kleinem Anfall tat das irgendwie gut.
»Danke für Ihr Verständnis.«
»Ich würde sehr gern mal mit Ihnen plaudern, bevor ich wieder abreise«, sagte er.
Wieder fragte ich mich, ob er flirtete, und sagte das Einzige, was mir darauf einfiel. »Zum Erfahrungsaustausch?«
»Genau.«
Ich konnte meine Wirkung auf Männer nach wie vor nicht verstehen. Ich war nicht übermäßig hübsch, zumindest nicht in meinen Augen. Wir schüttelten uns die Hand, und er hielt sie nicht länger als nötig, quetschte sie nicht und tat auch sonst nichts von den merkwürdigen Dingen, die interessierte Männer tun. Vielleicht wurde ich bei Männern allmählich überempfindlich.
Ich ging mit Zerbrowski durch ein Meer von Schreibtischen, um Nathaniel loszueisen. Detective Jessica Arnet, eine der Neuen im Dezernat, unterhielt sich noch immer mit ihm. Sie stierte wie hypnotisiert in seine violetten Augen. Nathaniel konnte nicht hypnotisieren, war aber ein guter Zuhörer. Das ist bei Männern selten, obwohl sie damit mehr punkten
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