Anita Blake 12 - Nacht der Schatten
lieben, zu kränken. Manchmal kommt es aber einfach dazu.«
Er nickte und blieb abgewandt. »Lucille will Sie demnächst mal anrufen und sich mit Ihnen unterhalten - möchte die Vampire besser verstehen.« »Ich werde ihr gern alle Fragen beantworten.«
Er nickte wieder, wollte mich aber nicht ansehen. »Ich sag ihr, sie kann anrufen.« »Ich freue mich darauf.«
Wir standen beide da, noch immer ohne Blickkontakt. Wir schwiegen eine paar Augenblicke, angespannt, nicht kameradschaftlich. »Ich habe keine weiteren Fragen, Anita. Gehen Sie jetzt.«
An der Tür zögerte ich und schaute über die Schulter. Er stand sorgfältig abgewandt, und ich fragte mich, ob er weinte. Ich hätte schnuppern, meine neuen Leopardensinne einsetzen können, aber ich tat es nicht. Er wollte nicht gesehen werden. Ich respektierte das. Leise zog ich die Tür hinter mir zu und überließ ihn seiner Trauer und seinem Zorn. Ob Dolph weinte oder nicht, ging nur ihn etwas an.
As der letzte Ermittler gegangen, der letzte Einsatzwagen abgefahren war, wurde es still im Haus. Die Küche war eine Katastrophe - Glasscherben überall, halb eingetrocknetes Blut auf den Holzflächen. Das würde ich nie vollständig aus der Maserung rauskriegen. Es würde mir ewig vor Augen halten, dass überlegene Feuerkraft gesiegt hatte, aber nicht ohne Opfer.
Ich würde Rafael anrufen und ihm sagen müssen, dass Igor meinetwegen gestorben und Claudia verletzt war. Ich musste zugeben, dass es wirklich gut gewesen war, sie bei mir zu haben. Zwei Schusswaffen mehr waren entscheidend gewesen. Wäre ich als Einzige im Haus bewaffnet gewesen, wäre die Sache anders ausgegangen. Okay, dann wäre ich jetzt vielleicht tot.
Auf ein Geräusch fuhr ich herum. Nathaniel stand mit Besen, Kehrschaufel und einem kleinen Eimer im Küchendurchgang. »Ich dachte, ich fege mal die Scherben zusammen.«
Ich nickte nur; zum Reden war ich noch zu verstört. Ich hatte ihn hinter mir nicht kommen hören. Er stand nur im Durchgang, nicht so nah, aber nah genug, wenn er ein Schurke mit Pistole gewesen wäre.
Ich war bisher bei allem völlig ruhig geblieben, hatte auch nicht die Nerven verloren, als die Polizei dagewesen war, aber jetzt plötzlich fing ich an zu zittern. Eine ziemlich verzögerte Reaktion, verdammt.
42
Nathaniel stellte Kehrschaufel und Eimer auf den Tisch, lehnte den Besen an einen Stuhl und kam langsam zu mir. Mit seinen besorgten lila Augen sah er mich prüfend an. »Alles in Ordnung?«
Ich machte den Mund auf und wollte lügen, aber heraus kam so etwas wie ein leises Wimmern. Ich presste die Lippen zusammen, um die Laute zurückzudrängen, dafür wurde das Zittern schlimmer. Wenn man sich in seiner Sturheit nicht mal erlaubt zu weinen, findet der Körper andere Wege, es raus zulassen.
Nathaniel berührte mich zögerlich an der Schulter, als wäre er sich nicht sicher, ob er das durfte. Aus irgendeinem Grund trieb mir das die Tränen in die Augen und mir wurde eng in der Brust. Ich verschränkte die Arme ganz fest und unterdrückte die aufkommenden Tränen. Nathaniel machte Anstalten, mich zu umarmen, aber ich wandte mich ab, weil ich wusste, dass ich dann losheulen würde. Ich hatte heute schon Tränen vergossen; noch mal kam nicht in Frage. Mann, wenn ich jedes Mal heulen würde, nur weil einer versucht hatte, mich umzubringen, wäre ich längst ertrunken.
Nathaniel seufzte. »Wenn du mich so antreffen würdest, würdest du mich festhalten, bis es mir besser geht. Lass mich das jetzt mal für dich tun.«
»Ich hatte das heute schon einmal. Einmal reicht«, sagte ich mit gepresster Stimme.
Er packte meinen Arm. Bei jedem anderen hätte ich damit gerechnet, aber nicht bei ihm. Bei ihm fühlte ich mich sicher. Seine Finger schlossen sich fest um meinen Oberarm, nicht so, dass es wehtat, aber dass klar war, er meinte es ernst. Wie auf Knopfdruck hörte ich auf zu zittern. Ich war klar im Kopf, hatte nicht mal mehr Tränen in den Augen.
Er schüttelte mich und provozierte einen ärgerlichen Blick. »Du wolltest keine Umarmung. Aber ich wusste, dass einmal hart anfassen«, er drückte ein bisschen fester zu, »auch helfen wird.«
»Lass mich los, Nathaniel, sofort.« Es kam bedächtig und mit ärgerlichem Knurren. Nathaniel hatte mich noch nie hart angefasst. Das machte mich ärgerlich und traurig. Ich war bei ihm immer sicher gewesen, und jetzt war ich es nicht mehr. Er wurde ein erwachsener
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