Anklage
Kündigung eine Klage beim zuständigen Arbeitsgericht einreichen, wenn er die Kündigung rechtlich anfechten
will. »Und um in den drei Wochen alle Klagen zu schaffen, müssen wir das Ganze eben als Massenveranstaltung abwickeln. Deshalb haben wir morgen eine Besprechung der gesamten Belegschaft organisiert. Dort sollen alle relevanten Daten eingesammelt und den Leuten soll das Prozedere erklärt werden. So eine Art Vortrag eben.« Unvermittelt stoppte er und blickte zu meinem Nebenmann, der weiter stumm auf seinem Platz saß. »Ich oder besser wir denken nun, dass das bei Ihnen sehr gut aufgehoben wäre. Zudem werden sich die Medien auf diesen Fall stürzen und da haben Sie die größte Erfahrung. Der Kollege wird Sie begleiten und auch die Klagen fertigen.«
Eigentlich wartete ich nun auf die Frage, ob ich das auch übernehmen wollte. Der Chef machte aber nicht den Eindruck, dass er mich das fragen wollte. Für ihn war die Sache klar. Ich nahm es hin. Und so gingen wir direkt zur Besprechung der Abwicklung des Falls über. Der Kollege und ich würden am nächsten Tag die Veranstaltung abhalten, wobei ich sprechen würde und der Kollege assistieren sollte. Wir würden die Daten und Unterlagen der anwesenden Arbeitnehmer einsammeln, um daraus Klagen zu erstellen.
Als ich schließlich das Büro des Chefs verließ und in mein Arbeitszimmer ging, wartete eine lange Rückrufliste auf mich. Ich war froh, ans Telefon zu kommen, denn dabei war es in der Kanzlei üblich, dass man die Tür schloss. Auf diese Weise bekam ich wenigstens beim Telefonieren etwas Abstand. Warum ich Abstand wollte, den Drang hatte, mich zu distanzieren, darüber dachte ich nicht nach. Das sollte mir aber noch klar werden.
Nach den Telefonaten öffnete ich die Bürotür wieder und vertiefte mich in die Unterlagen des kommenden Tages. Ein Betrieb sollte stillgelegt und die Arbeitnehmer allesamt entlassen
werden. In den Akten fand sich ein entsprechender Beschluss der Geschäftsführung, der wiederum auf eine Anweisung der Mehrheitsgesellschafter zurückging. In den Papieren hieß es lapidar, dass die weltweite Ertragssituation einen Kapitaleinsatz an anderen Stellen und in anderen wirtschaftlichen Bereichen mit einer höheren Rendite belohnen würde. Deshalb würde das Kapital nun abgezogen und die Belegschaft der Firma abgebaut werden. Es stand dort weiter zu lesen, dass die betroffene Firma zwar tatsächlich Gewinn abwarf, aber eben im Vergleich zu anderen Firmen an anderen Plätzen weltweit zu wenig. Danach fanden sich einige Notizen, die die Mitwirkung der Arbeitnehmervertretung betrafen. Es war aber zu erkennen, dass der einzelne Arbeitnehmer von seiner betrieblichen Vertretung wohl nichts zu erwarten hatte. Aus irgendwelchen Gründen leisteten die Arbeitnehmervertreter keinen oder nur verhaltenen Widerstand. So war es die Aufgabe eines jeden Arbeitnehmers selbst, sich gegen diese Situation und ihre dramatischen Folgen in Form der drohenden Arbeitslosigkeit zu wehren.
Seit langer Zeit kam wieder echte Wut über die Ungerechtigkeit einer Situation meiner Mandanten in mir hoch. Auch wenn ich diesen Fall ursprünglich nicht wollte, jetzt hatte er mich gepackt. Es ging um das Schicksal der Arbeitnehmer, um deren Zukunft. Ich wollte diesen Menschen helfen, die absolut nichts für ihre schlechte Situation konnten. Sie arbeiteten fleißig und gut. Ihr Pech war nur, dass an anderen Orten der Erde aufgrund der dort herrschenden niedrigeren Löhne ein höherer Ertrag zu erzielen wäre. Nur deshalb drohte ihnen das Aus. Auch wenn ich noch nicht wusste, wie ich dem Fall eine erfolgreiche Wendung geben könnte, wusste ich, dass ich alles für die Mitarbeiter tun wollte, was in meiner Macht stand. Im Gegensatz zu meinen anderen Fällen dachte ich dabei nicht eine Sekunde lang an das Honorar. Leider war ich aber der einzige in der Kanzlei, der so dachte.
19
Am nächsten Tag fuhren wir in den betroffenen Betrieb. Wir trugen beide auf Anweisung des Chefs unsere schwarzen Anzüge. Er hatte gemeint, man würde die Kanzlei und auch die gesamte Anwaltschaft in einem solchen Aufzug am besten repräsentieren. Meiner Meinung nach sahen wir mit unseren schwarzen Anzügen aus wie Totengräber. Aber auch wenn wir einen eigentlich totgeweihten Betrieb besuchten, war es doch unsere Aufgabe, die Arbeitsplätze zu erhalten. Ich empfand den schwarzen Anzug deshalb als unpassend, mein Kollege blieb seiner Linie treu und entwickelte vorsichtshalber keine eigene
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