Anklage
in die Kanzlei. Die versprochenen Unterlagen trafen zwei Tage später dort ein.
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Tags darauf traf in der Kanzlei eine Postkarte für mich ein. Darauf standen aber keine Grüße aus dem Urlaub und sie kam auch nicht aus einem beliebten Ferienziel, sondern aus dem Gefängnis.
Die Nachricht auf der Karte war an Eindeutigkeit nicht zu überbieten. »Bitte kommen Sie mich so schnell wie möglich besuchen. SEHR WICHTIG«, stand darauf zu lesen. Absender war mein Mandant, der des Menschenhandels beschuldigt wurde.
Inhaftierte können Postkarten verwenden, um ihren Verteidiger über einen Besuchswunsch zu informieren. Die Karten und auch Briefe werden über die Hauspost der JVA weitergeleitet. Anders als im normalen Leben gilt im Knast das Briefgeheimnis jedoch nicht. Die Wachbeamten lesen alle Briefe der Insassen und entscheiden dann, welche verschickt werden und welche nicht. Eine Ausnahme gibt es nur für den Briefwechsel zwischen einem Inhaftierten und seinem Anwalt. »Verteidigerpost« ist hier der Fachausdruck für Post, die nicht geöffnet und gelesen werden darf. Inhaftierte Mandanten haben oft gefragt, ob das auch für Postkarten an den Verteidiger gilt, denn schließlich könnte eine Postkarte ja jeder lesen. Es ist tatsächlich seltsam, warum die Haftanstalt den Insassen nur Postkarten zur Verfügung stellt. Die Clevereren unter den Insassen verwenden die Postkarten aber lediglich dafür, einen Besuch des Verteidigers zu wünschen. Mein Mandant kannte also die Spielregeln.
Ich machte mich gleich auf, um meinen Mandanten zu besuchen, denn es war ungewöhnlich, dass ein Inhaftierter in großen
Buchstaben »SEHR WICHTIG« auf die Karte schrieb. Zu groß war die Angst vor unbefugten »Mitlesern«. Ich war neugierig, was es gab.
Nachdem ich die üblichen Anmeldeformalitäten für Verteidiger in der Haftanstalt durchlaufen hatte, betrat ich die kleine, schäbige Besuchszelle.
Kaum war mein Mandant hereingekommen, legte er los: »Gut, dass Sie da sind. Ich habe was, das bringt mich hier raus.« Er kramte ein paar Seiten irgendwelcher Kopien heraus. Als Überschrift stand dort in fetten Lettern zu lesen: »Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten - ProstG.« Es war ein Gesetzestext, der die Ausübung von Prostitution regelt. Ich war erstaunt, was er damit wollte.
»Kennen Sie das Gesetz?«, fragte er provozierend. Ich nickte.
»Gut, dann wissen Sie ja auch, dass Prostitution nicht mehr strafbar ist. Ich habe also gar nichts verbrochen und kann hier raus.«
»Wo haben Sie das denn her?«, fragte ich erstaunt.
»Wir haben hier eine Gerichtsbibliothek, da findet man so was. Und außerdem gibt es hier einen Häftling, der ist schon länger da und der liest den ganzen Tag was über Recht und Gesetz.
Der hat mir den Tipp gegeben.«
»Na ja, so einfach ist das nicht.«
»Warum, hier steht doch schwarz auf weiß …«
»Ja, Prostitution ist nicht mehr strafbar, wenn man sie freiwillig und ohne Zwang ausübt. Wenn dagegen Zwang auf die Prostituierte ausgeübt wird oder ihr auch der sogenannte Dirnenlohn weggenommen wird, dann ist das sehr wohl strafbar und nennt sich Menschenhandel.«
»Verstehe ich nicht, können Sie mir das bitte ausführlicher erklären? Entweder es ist strafbar oder nicht. Was ist das für ein Unfug von wegen Menschenhandel. Wenn Prostitution nicht mehr strafbar ist, kann sich doch auch ein Außenstehender
nicht strafbar machen, oder was?« Mein Mandant war sichtbar gereizt.
»O.k., dann brauche ich aber nun Ihre Aufmerksamkeit, denn es ist nicht ganz so leicht«, beschwichtigte ich ihn. »Prostitution ist dann nicht mehr strafbar, wenn sich eine Prostituierte selbst und freiwillig entschließt, dieser nennen wir es mal Arbeit nachzugehen und auch das Geld, das sie damit verdient, selbst behalten kann. Das gilt übrigens auch für männliche Prostituierte. Dieses Gesetz hier«, ich tippte mit dem Finger auf die Kopien, »regelt in erster Linie die soziale Stellung der Prostituierten. Also, dass sie ihren Dirnenlohn auch einklagen können, wenn ein Freier nicht bezahlt und dass sie sich auch in die Sozialversicherung eingliedern können. Das Gesetz soll in erster Linie die Prostituierten mehr in die Gesellschaft eingliedern. Das war früher nicht möglich.«
Mein Mandant war verärgert und fiel in die Sprache des Milieus. »Also das Gesetz regelt, wie eine Hure anschaffen und leben kann, aber nicht meinen Fall!«
»Stimmt. Der Vorwurf, den man Ihnen macht - also
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