Ankwin - Tod eines Kriegers (German Edition)
Ihr Garock, so heißt der Krieger, wieso habt Ihr also Herrn Garock diese Ehrenhaftigkeit eingeräumt? Gab es Gründe, dem Hauptmann nicht zu glauben?«
Rahag biss wieder genussvoll in den Apfel. Während des Kauens blickte er die Anwesenden unverwandt und belustigt an. Als er geschluckt hatte, beugte er sich vor.
»Nun, Mädchen, ich sah eine ehrenwerte königliche Patrouille, die offensichtlich große Schwierigkeiten mit einem einzigen Mann hatte. Hätte dieser Krieger wirklich den Tod der Schausteller gewollt, so hätte er sich dabei bestimmt nicht erwischen oder von den Soldaten abhalten lassen.« Rahag machte eine Pause. Etwas leiser fügte er dann noch hinzu. »Außerdem bedrohte einer der Soldaten ein kleines Mädchen mit einem Messer. Warum, wenn sie doch zur Rettung da waren?«
Der Gerichtsschreiber bekam großer Augen. Lavielle stockte der Atem. Es schien, als würde jeder im Umkreis von fünfzig Schritten den Atem anhalten. Plikon wirkte auf einmal völlig fehl am Platze und Garocks Miene veränderte sich, wobei niemand genau hätte sagen können, was für ein Regung sie ausdrückte.
Lavielle wusste instinktiv, dass es genau der Punkt war, den sie hatte erreichen wollen – es war eigentlich sogar weit mehr. Ihr Verstand hatte noch nicht begriffen, wie weit ihr der Erzherzog eigentlich geholfen hatte, als ihr Herz die Kontrolle übernahm und sie spontan sagte. »Hoher Rahag, Ihr saht also noch zwei oder drei der Spielleute schwer verletzt dastehen?«
»Der Gerichtsschreiber wird das wohl mitgeschrieben haben.« Rahag schien gelangweilt.
»Gerichtsschreiber! Schaut doch einmal nach, wie viele der Schausteller laut Aussage des Unteroffiziers überlebt haben.« Lavielles Stimme hatte einen beißenden Unterton bekommen und Plikon horchte auf. Auch ihm war die Ungereimtheit aufgefallen.
Nach einem kurzen Blättern erhob der Schreiber emotionslos seine Stimme und las die besagte Stelle vor. »... der Riese hatte alle männlichen Schausteller getötet ...»
»Als sich Herr Garock bereits ergeben hatte, lebten also noch mindestens zwei der Schausteller. Wie, so frage ich, sind sie dann zu Tode gekommen? Das kann nur die Patrouille selbst gewesen sein, die kaltblütig zwei weitere wehrlose Schausteller ermordet hat.« Lavielle konnte sich selbst nicht mehr bremsen. Es war als säße sie in ihrem eigenen Hinterkopf und hätte keine Kontrolle mehr über ihren Mund. Der sprach einfach weiter.
»Da der hohe Rahag noch mit dem Hauptmann gesprochen hat und die Patrouille ihn wohl nicht selbst tötete, muss der Hauptmann wohl von Herrn Garock getötet worden sein.«
Einige Anwesende horchten ungläubig auf. Hatte die Verteidigerin gerade selbst den Angeklagten des Mordes beschuldigt?
»Da Herr Garock, wie hier eben überzeugend und glaubhaft dargelegt wurde, ein Ehrenmann sein muss, lässt das für mich nur einen Schluss zu. Der Hauptmann selbst erschlug die übrigen Schausteller«, Lavielle machte eine kleine Pause, um den Höhepunkt noch etwas hinaus zu zögern, »und Herr Garock tötete ihn dann nicht aus Mordlust, sondern aus einem tief verankerten Gerechtigkeitsempfinden. Ein Empfinden wie dieses macht einen Prozess wie diesen überhaupt erst möglich. Vielen Dank, ehrwürdiger Erzherzog. Hohes Gericht, ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen.«
***
Einige Leute drehten sich um, als Lavielle laut auflachte. Ausgelassen hatte sie sich bei Ankwin untergehakt und sie schlenderten durch die abendlichen Straßen Brakenburgs.
Die Aussage des Erzherzogs war zwar noch kein Freispruch, doch hatte die frischgebackene Verteidigerin allen Grund zu feiern, denn sie hatte den richtigen Instinkt gehabt. Und ohne den beherzten Einsatz Ankwins hätte sie es wohl auch nicht so weit geschafft. Ihr war klar, dass da noch mehr sein musste. Der Angriff des Blutboten, der Tod Brinthardts und Schiwetts und nicht zuletzt die Morde an der Schaustellerfamilie ließen keinen Zweifel daran, dass da noch viel mehr sein musste, doch heute Abend wollte sie daran nicht denken. Ankwin hatte zwar gemeint, der Blutbote wäre sicher noch in der Stadt, aber auch er schien beschwingter. Es war ein herrlicher Frühlingsabend, satt vom Duft der vielen Obstbäume, die in bunter Pracht die Straßen säumten, schwanger von den Versprechungen, die die Blüten für den Sommer bereithielten, überwürzt von den unzähligen Fleischbratereien und Straßenküchen, die ihre deftigen Kostbarkeiten feilboten.
Sah man Richtung Westen, so konnte man
Weitere Kostenlose Bücher