Ankwin - Tod eines Kriegers (German Edition)
Menschenkenntnis und ernster Sorge um ihren Geliebten. Wo mochte er sein? Hatte sie sich so sehr in ihm getäuscht? Die Wut, die in ihr aufstieg, war nur schwer zu bremsen. Gefühlskontrolle war Teil ihrer Ausbildung. Nicht, dass die Heiler ihre Gefühle unterdrückten, im Gegenteil. Sie kultivierten sie, da sie einem ausgeglichenen Gefühlsleben großes Heil zuschrieben.
Im Heilerorden wurde also nicht die Gefühlsunterdrückung sondern lediglich die rechtzeitige Erkennung eines aufsteigenden Gefühls gelehrt, um diesem Gefühl den richtigen Raum, den richtigen Weg und manchmal auch die richtige Zeit zu geben. Lavielle war, was ihre Gefühle betraf, äußerst verwirrt. Wut auf Ankwin stieg in ihr auf, sie war voller Freude über den Ausgang des Prozesses und voller Neugier auf Garock, mit dem sie sich jetzt vielleicht etwas intensiver beschäftigen konnte, wo er jetzt der Heilergilde unterstand.
Sie wusste zwar als kleine Novizin noch nicht genau, wie sie das anstellen sollte, aber sie hatte zumindest schon eine Idee. Außerdem war sie ratlos, da sie kurz vor ihrer Weihe stand, und Ankwin ihr doch eindeutig und augenscheinlich ernsthafte Absichten offenbart hatte. Was sollte sie nur tun?
Immer wieder blickte sie über ihre Schulter und jedes Mal war sie von Garock beeindruckt. Zum ersten Mal sah sie, wie dieser Riese sich ohne Ketten bewegte und allein das war ein Schauspiel sondergleichen.
Lavielle beschloss, sich später mit den Gefühlen um Ankwin zu befassen und sich jetzt lieber mit Garock zu freuen und ihm zu einem guten Anfang in der Gilde zu verhelfen.
Je länger sie sich im Gedränge befanden, umso enger schloss sich die Menge um Garock, als ob sie schon begann, den Prozess und den einstigen Hauptangeklagten zu vergessen. Viele hatten Garock auch gar nicht aus nächster Nähe gesehen und, obwohl er wirklich sehr imposant war, so waren die Gerüchte über ihn doch noch imposanter.
Es war früher Nachmittag und in den Straßenküchen herrschte Hochbetrieb.
Lavielle war zwar satt, allerdings kam ihr Garock in den Sinn, der mit Sicherheit nur das nicht gerade reichhaltige Frühstück des Gefängnisturms im Magen hatte. Das bestand meist nur aus einem ungewürzten Getreidebrei.
Abrupt blieb sie stehen und wartete, bis Garock zu ihr getreten war und sie anblickte. Hätte sie raten müssen, hätte Lavielle gesagt, Garock schaute neugierig, doch wer hätte ihr sagen sollen, ob sie richtig lag.
»Garock.« Lavielle blickte zur Seite, während sie nach Worten suchte. Dann atmete sie kurz und tief ein und sprach weiter. »Ihr habt doch sicher Hunger. Ich hoffe, Euch sagt das Essen hier zu, denn ich lade Euch ein. Seid mein Gast.«
Der Hüne kniff die Augen etwas zusammen und zog die Mundwinkel etwas nach oben, dann nickte er einmal ganz deutlich.
Lavielle drehte sich um und strahlte über das ganze Gesicht. Es war das erste Mal, das dieser schweigsame Klotz so deutlich auf sie reagiert hatte. Während sie sich die feilgebotenen Speisen ansah und sie insgeheim auch schon zusammenstellte, sagte sie beifällig: »Wer nicht reden will, muss essen, was man ihm bestellt.«
Dann wandte sie sich an den kleinen Mann mit dem ledrigen Gesicht, dessen Haare und Schürze vor Fett standen. Er hatte noch drei Zähne im Mund. Er war der Koch.
»Eins der gebratenen Hühner, eine Schale Bohneneintopf und einen Becher Apfelwein ...«, sie drehte sich zu Garock um, der direkt hinter ihr stand, und sah abschätzend zu ihm auf. »... nein, nein, lieber einen ganzen Krug Apfelwein.«
Drei Hühner, zwei Schalen Eintopf und zwei Krüge Apfelwein später blickte Lavielle Garock prüfend ins Gesicht. Langsam meinte sie, die feinen Unterschiede in seinen Zügen ausmachen zu können. Sie war fest davon überzeugt, dass er jetzt zufrieden grinste.
Sie nahm ein Tuch, tauchte es in das Brunnenbecken, auf dessen Rand sie saßen, und machte Anstalten, Garocks Mundwinkel zu wischen. Sie stockte kurz, lächelte dann unsicher und gab Garock das Tuch. Sie bedeutete ihm mit Gesten, dass er noch Eintopf im Gesicht hatte.
Garock wischte sich den Mundwinkel bedächtig ab, reinigte das Tuch wieder im Wasser, wrang es gründlich aus und gab es ihr zurück.
Dann geschah etwas, dass Lavielle nicht für möglich gehalten hätte. Der Hüne neben ihr, mit einem Gesicht so grob wie ein Holzscheit und einer Schweigsamkeit, die jedes Grab als schwatzhaft erscheinen ließ, zeigte seine Zähne. Es musste ein Grinsen oder Lächeln sein. Dann sagte er:
Weitere Kostenlose Bücher