Anlass
sagte er boshaft, »ist eine Idiotin, ein Kretin. Aber Bernabò ist in der Einkaufsabteilung des Waffenamts, ein wichtiger Mann. Ich hätte Sie nicht mit den Leuten gelangweilt, aber ich dachte, er könnte Ihnen nützlich sein. Ich erwähnte ihm gegenüber Ihr Geschäft. Was diese Bekanntschaft betrifft, so brauchen Sie keine Skrupel zu haben. Er wird Sie nicht zurückweisen. Es wird sich für Sie vielleicht lohnen, ihn warmzuhalten. Ein kleines Diner ist für den Anfang genug. Das übrige ergibt sich dann von selbst.«
Ich brauchte nicht zu fragen, worin ›das übrige‹ bestand. Meine Erfahrungen in Genua hatten mich schon einiges gelehrt.
»Sehr gütig von Ihnen, General.«
»Nicht der Rede wert.« Er machte eine kleine Pause und sah mich an. »Es gibt wahrscheinlich verschiedene Möglichkeiten, wie ich Ihnen helfen kann.«
Ich dankte nochmals. Wir waren in der Loge angekommen.
»Mailand«, sagte er, »ist eine Stadt, in der man gute Freunde haben muß. Übrigens schlage ich vor, daß wir nach dem nächsten Ballett weggehen. Die letzte Programmnummer ist eine Eigenproduktion und, wie ich fürchte, ziemlich schrecklich.«
»Dann bin ich dafür, daß wir gehen.«
»Das dachte ich mir. Ich habe das Souper für zehn Uhr bestellt.«
Es war schon nach zehn Uhr, als wir schließlich die Scala in Richtung Corso di Porta Nuova verließen.
Es war kein großes Haus, aber das Innere war großartig. Dunkelrote Samtvorhänge, schwere Cinquecentomöbel und bemalte Wände. Kronleuchter überall. Ein leiser Duft von Weihrauch hing in der Luft. Der Gesamteindruck war der einer Ballettdekoration. Ein bleicher, leichtfüßiger junger Diener in blutroten seidenen Kniehosen verstärkte diese Illusion.
Er trippelte auf uns zu, nahm unsere Mäntel und glitt in den Schatten der Treppe, als Madame Vagas hinter ihm herlief.
»Ricciardo.«
Er blieb mit sichtlichem Widerstreben stehen. »Signora?«
»Sie haben wieder Weihrauch verbrannt.«
»Nur ein bißchen, Signora«, sagte er schmollend.
Ihre Stimme wurde plötzlich schrill. »Sie sollen das lassen. Verstehen Sie! Sie sollen keinen Weihrauch verbrennen.«
Ricciardos Lippen zitterten. Er war nahe daran, in Tränen auszubrechen.
»Meine liebe Elsa«, murmelte der General beruhigend, »wir haben einen Gast.« Er erhob die Stimme. »Ricciardo, komm her.«
Der Junge trat ein paar Schritte vor. »Si, Eccellenza.«
»Geh, leg etwas Rot auf und serviere das Souper. Und keine Blumen auf dem Tisch, verstehst du?«
»Si, Eccellenza.« Er lächelte uns an, machte eine Verbeugung und zog sich zurück.
Der General wandte sich mir zu. »Ich bestehe darauf, daß die Dienerschaft dekorativ aussieht.« Er machte eine Handbewegung gegen die Wände. »Gefällt es Ihnen, Mr. Marlow? Die Liebe von Mejnoûn und Leilah. Ich ließ es mir nach Gobelins kopieren.«
»Ja, Signor Marlow«, echote Madame Vagas mit einem dünnen, boshaften Lächeln, »gefällt es Ihnen?«
»Es ist reizend.«
»Reizend!« Sie wiederholte das Wort mit höflichem Spott. »Sie mögen recht haben.«
Ich war ausgesprochen verlegen.
»Meine Frau verabscheut das Haus«, sagte Vagas.
»Mein Mann hat eine Schwäche für das Barock, Signor Marlow.«
Das wurde sehr liebenswürdig gesagt. Beide lächelten mich an, aber die Atmosphäre war plötzlich mit Haß geladen. Mehr als zuvor wünschte ich, daß ich nicht gekommen wäre. Ich fühlte, es war etwas unaussprechlich Häßliches um das Ehepaar Vagas. Sie waren beide grotesk, ebenso grotesk wie ihr Haus und ihr Diener.
Vagas nahm meinen Arm.
»Kommen Sie, mein Freund, das Souper wartet.«
Serviert wurde in einem kleinen Alkoven, in den man durch den Hauptraum gelangte. Die Gläser waren exquisit, das Porzellan kostbar, die Gerichte wurden tadellos aufgetragen. Der General und ich tranken Rotwein. Madame Vagas nippte an einem Glas Evianwasser. Zu meiner Erleichterung, denn ich hatte nichts zu sagen, bestritt der General die Konversation mit Monologen über das Ballett.
»Ich glaube«, sagte Madame Vagas nach einiger Zeit, »Signor Marlow interessiert sich nicht so fürs Ballett.«
Der General zog die Augenbrauen hoch. »Liebe Elsa, ich vergaß. Entschuldigen Sie, Mr. Marlow.«
Ich murmelte einen Protest.
»Sie müssen mir verzeihen, Mr. Marlow«, fuhr er fort, »aber ich habe eine große Schwäche fürs Ballett. Es ist meiner Meinung nach der letzte Ausdruck einer zerfallenden Gesellschaft. Die Idee des Tanzes und die Vorbereitung auf den Tod gehören zusammen,
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