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Ann Pearlman

Ann Pearlman

Titel: Ann Pearlman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apfelblüten im August
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ein Glück. Hat David nicht genau das zu mir gesagt? Bin ich nicht daran erinnert worden, als Rachel fast ertrunken wäre? Hat Smoke mit seinen schwieligen Händen und seinem sanften Gemüt nicht versucht, dieses Gefühl in mir zu stärken? Haben es mir Tara und Allie und die ganze Rap-Crew nicht bewiesen? Und haben mich nicht all diese Erlebnisse, diese Zufälle – dass wir von einem rassistischen Polizisten auf dem Highway angehalten wurden, dass wir durch die Museen in Memphis gewandert sind, dass wir bei einem Unfall mit knapper Not davongekommen sind – letztlich auf den Weg gebracht, auf dem ich mich jetzt befinde?
    Meine Augen füllen sich mit Tränen.
    Anscheinend mache ich immer noch Listen.
    Auf dem Nachhauseweg lege ich einen Stopp bei Mom ein. Disney, Moms Pudel, hüpft aufgeregt an mir hoch, wedelt wild mit dem Schwanz und schleppt sein Kuscheltier an – einen Frosch. Hinter ihm steht Mom, mit offenen Armen, die weißen Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, in schwarzen Leggings und einer lavendelfarbenen, weit ausgeschnittenen Tunika. Sie kocht uns einen Tee aus Kamille und Süßkraut und stellt einen Teller mit Mandelkeksen auf den Tisch. Dann setzt sie sich mir gegenüber.
    Sie stützt einen Arm auf den Tisch, den anderen legt sie locker darauf – ihre Nägel sind wie immer poliert und perfekt französisch manikürt – und wartet, dass ich anfange zu erzählen. Ich möchte ihr erklären, wie sehr ich mich verändert habe. Ich habe ihr verziehen – obwohl ich eigentlich gar kein Recht darauf hatte, wütend auf sie zu sein. »Die oberflächlichen Dinge … Dinge wie: Werde ich das Richtige anhaben für das Vorstellungsgespräch, sind meine Haare ordentlich, benimmt Rachel sich gut genug? … all das ist unwichtig geworden. Irgendwie hat meine Perspektive sich verändert. Und ich bin weniger ängstlich.«
    Ich halte inne, Mom schlürft ihren Tee, presst ein bisschen Zitronensaft hinein. Der frische Duft steigt mir in die Nase. Draußen biegt der Wind die Äste der Bäume.
    »Jeder Tod bringt auch ein Geschenk mit sich. Vielleicht ist das deines – zu erkennen, was unwichtig ist, und es loslassen zu können. Nicht mehr so viel und so detailliert planen zu müssen.«
    »Vielleicht«, erwidere ich. »Aber der Preis ist zu hoch.«
    »Ja. Das stimmt natürlich.«
    Dann komme ich endlich auf das zu sprechen, weswegen ich hergekommen bin. »Außerdem verstehe ich auch dich auf einmal ganz anders. Ich verstehe, warum du mit Stephen zusammen warst. Das Bedürfnis, mit einem Kind nicht allein zu sein.«
    Sie ergreift meine Hand. »Ich wusste nicht, dass ich dafür Verständnis brauchte.« Gedankenverloren starrt sie eine Weile in unbestimmte Ferne, dann sieht sie mich wieder an. »Jetzt begreife ich es. Meine Beziehung zu Stephen kam dir vor wie ein Betrug an deinem Vater. Und du warst all die Jahre wütend deswegen.«
    »Wütend? Das klingt ein bisschen zu heftig.« Hauptsächlich habe ich Tara gehasst und Mom trotzdem mit Beschlag belegt. Nicht um die Beziehung zwischen ihnen zu erschweren, sondern weil ich nicht teilen konnte.
    Ich setze an, es Mom zu erklären, aber bevor ich etwas sagen kann, ergänzt sie: »Ich freue mich, dass Tara und du so gut miteinander auskommt. Anscheinend seid ihr euch jetzt so nahe, wie ich es mir immer erträumt habe.«
    Mom weiß, was ich ihr sagen wollte, ohne dass ich es aussprechen muss – außerdem reicht es, wenn ich es verstehe. Aber dann sagt sie: »Es war wie eine Wiederholung meines eigenen Grauens, dass du das durchmachen musstest. Es hat mir noch einmal das Herz gebrochen, deinet- und meinetwegen.« Ihre Augen füllen sich mit Tränen.
    »Ich glaube, ich war ziemlich selbstbezogen«, sage ich und sehe sie an. »Was war dein Geschenk?«
    Sie schaut weg, setzt sich anders hin und sieht zum Garten hinaus. Ein Kardinal pickt die Sonnenblumenkerne im Vogelhäuschen, ein roter Farbblitz im monotonen Einerlei kahler Zweige und winterdürrem Gras. »Es war ein langer, mühsamer Weg für mich. Ich habe mich ablenken lassen und mein Geschenk lange nicht erkannt. Aber jetzt weiß ich es. Mir ist klar geworden, dass ich ein reiches Leben auch ohne Partner haben konnte, dass ich es schaffen würde, dich und Tara alleine großzuziehen. Das war mein Geschenk, aber ich wollte es nicht annehmen.« Sie kaut auf der Unterlippe, dann fährt sie fort: »Ich dachte, ich brauche einen Mann. Es war ein Geschenk zu erkennen, dass ich mir zwar einen wünschte, aber dass

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