Ann Pearlman
fühlt.
Vielleicht kriegt man nach einer Weile auch Schwielen auf dem Herzen und fühlt den Schmerz nicht mehr.
Ich müsste aufhören, Rachel zu lieben. Und Mom. Dann wäre ich in Sicherheit.
Das Land ist flach, trocken und staubfrei. Die Straße läuft pfeilgerade durch die endlose Eintönigkeit.
Völlig unerwartet, ohne dass ich es selbst richtig merke, sage ich: »Ich war noch nie mit einem anderen Mann zusammen als mit Troy.«
Smoke nimmt die Augen keine Sekunde von der gelben Linie. »So sollte es auch sein«, meint er nach einer Weile. »Das ist cool. Meine Frau und ich, wir waren schon eine ganze Weile zusammen, bevor wir Sex hatten, und als wir es dann gemacht haben, war es irgendwie …« Er sucht nach dem richtigen Wort. »… irgendwie heilig. Nicht bloß zwei Körper, die zur Sache kommen. Schließlich kann beim Sex ein Baby entstehen, ein ganz neues Leben, ein neuer Mensch.«
»Vermutlich werde ich nie mit einem anderen Mann zusammen sein.«
»Das glaube ich nicht – du bist jung, du wirst einen anderen finden.«
Ich weiß nicht, was die Tatsache, dass ich jung bin, damit zu tun hat. »Und was ist dann mit der Heiligkeit?«
Er wendet sich mir zu, und seine blauen Augen überraschen mich immer wieder von neuem. »Das kannst du wieder haben. Es kann nicht nur einmal im Leben passieren.« Er zuckt die Achseln. »Wenn du die Liebe findest, hat Sex zwei Funktionen: Babys und Nähe. Den Körper zu teilen bereichert die Beziehung, die Partnerschaft wird stärker.«
So etwas habe ich nicht von ihm erwartet. Keine Ahnung, was ich erwartet habe, aber das nicht. Vielleicht mehr zum Thema »Sex als Entspannung«. Vielleicht die Erkenntnis, dass Sex mit einem neuen Menschen zwar ein bisschen unheimlich ist, aber Spaß macht. Aber womöglich gehört das gar nicht zu den Erfahrungen eines Mannes. Wie dem auch sein mag – auf alle Fälle habe ich nicht mit einer Abhandlung über die vielschichtige Verschmelzung gerechnet, die durch die körperliche Liebe erreicht werden kann.
Also versuche ich mir vorzustellen, wie es wäre, das, was ich mit Troy geteilt habe, mit einem anderen Mann zu erleben. Aber es funktioniert nicht, und ich schaue mir lieber wieder die Telefonmasten an, die wie Kreuze neben der Straße aufragen.
Auf einmal höre ich eine Sirene. In der Erwartung, einen Krankenwagen zu sehen, wende ich mich um, aber es ist die Polizei – wir sollen rechts ranfahren.
Smoke und ich sind seit zwei Stunden unterwegs, also müssen wir kurz hinter der Grenze von Texas sein.
Rot und lila schwirren die Lichter auf dem Streifenwagen.
»Warum will der, dass wir halten?«, frage ich Smoke.
»Weil er es kann«, antwortet er spöttisch. »Ich bin überhaupt nicht schnell gefahren. Unser Van ist ein Leihwagen, also ist die Plakette auf jeden Fall in Ordnung. Sonst fällt mir kein Grund ein.« Seine Oberlippe zittert ein bisschen. Nur ganz aus der Nähe, wenn man wie ich neben ihm sitzt, kann man es sehen.
Mein Honda und der Tourbus sind verschwunden, so weit sind sie uns inzwischen voraus.
Ein schmächtiger Cop kommt auf uns zu. Durch den Seitenspiegel sehe ich, wie er sich im Gehen die Polizeimütze aufsetzt. Als er an Smokes Fenster kommt, fällt mir auf, wie jung er noch ist, er muss sich noch nicht mal vollständig rasieren, nur den Schnurrbart.
»Sie sind zu schnell gefahren. Ich hab Sie dort hinten mit 75 gestoppt.«
Wir sind mit dem Verkehrsfluss gegangen, denke ich, bestimmt nicht schneller.
»Steigen Sie aus und geben Sie mir Ihren Führerschein«, sagt er.
Das ist nicht das übliche Vorgehen. Normalerweise geht der Officer mit dem Führerschein an den Computer im Streifenwagen, während die mutmaßlichen Verkehrssünder im eigenen Auto warten. Smoke rutscht hinter dem Steuer hervor, aber er bewegt sich langsamer als sonst. Vom Beifahrersitz aus beobachte ich, wie er in die Gesäßtasche fasst, seine Brieftasche herausholt, sie öffnet, den Führerschein aus dem Plastikfach holt.
Ich habe ein Kleid an, ein einfaches Strickkleid in Blasslila. Das habe ich heute Morgen in meinem Koffer als Erstes in die Finger bekommen, als ich das Bad gesucht habe. Die Kapuzenjacke trage ich auch immer noch darüber. Jetzt merke ich, dass der Rock hochgerutscht ist, und weil ich sehe, dass der Cop auf meine Beine starrt, ziehe ich ihn schnell runter, drehe mich zu ihm um, und unsere Blicke treffen sich. Auch er hat blaue Augen. Er runzelt die Stirn und schüttelt missbilligend den Kopf. Zuerst bin ich nicht
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