Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
sagen, als die Schlafzimmertür aufgeht und eine nackte, nasse Layla erscheint.
»Oh«, sagt sie, macht aber keine Anstalten, sich mit irgendetwas zu bedecken oder zurück ins Zimmer zu schlüpfen. »Anna, bist du immer noch da?« Als hätte ich den tastenden Gedanken nicht gespürt, den sie nach mir ausgeschickt hat, etwa eine Sekunde, bevor die Tür aufging. Ich verdrehe die Augen gen Himmel, so dass es beide sehen können, und verlasse die Wohnung.
Layla ist ein Biest, ja, aber das erklärt immer noch nicht, warum ich auf dem Weg zurück zum Auto so aufgewühlt bin. Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, hat Frey mir gesagt, dass er eine Freundin hätte. Ich habe nicht groß darüber nachgedacht. Irgendwie hätte ich erwartet, dass sie so sein würde wie er. Würdevoll. Gesetzt. Diese Tigerin ist eindeutig ein Vamp – ha, ha. Sie wird ihn leer saugen und ausspucken, wenn er nicht aufpasst. Sie bringt meinen warnenden Instinkt zum Kribbeln, denn sie hat tiefgreifenden Einfluss auf jemanden, den ich als guten Freund betrachte – sie hat sogar schon seine Wohnung erobert.
Ich öffne per Knopfdruck die Zentralverriegelung und schlüpfe hinters Lenkrad. Layla wird warten müssen. Im Moment habe ich schon mehr als genug zu tun. Trotzdem kommt sie noch auf meine To-do-Liste.
Gleich nach Gloria und David .... und Sandra.
Mir bleibt noch etwa eine Stunde, bis Gloria mir Bescheid sagt, ob wir uns bei ihr zu Hause oder im Gefängnis treffen. Also könnte ich ebenso gut gleich mit meiner »Recherche« anfangen. Ich mache es mir mit dem Buch auf dem Schoß gemütlich.
Weiter komme ich nicht, ehe mein Handy klingelt. Ich bin ja heiß begehrt heute Vormittag. Wenigstens kenne ich die Nummer auf dem Display.
»Hallo, Mom. Was gibt’s?«
»Ach, Anna.« Meine Mutter klingt atemlos vor Aufregung. »Du errätst nie, was passiert ist.«
»Du klingst fröhlich, also muss es etwas Gutes sein. Erzähl schon.«
»Das möchte ich dir lieber persönlich sagen. Kannst du gleich zu uns rüberkommen?«
Verdammt. Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Ich könnte es gerade bis nach East County schaffen, wo meine Eltern wohnen, und müsste dann sofort wieder umkehren, um Gloria zu treffen. »Jetzt sofort geht es leider nicht. Kannst du es mir nicht am Telefon erzählen?«
Sie bricht in Lachen aus. »Nein. Ich muss dein Gesicht sehen, wenn du das hörst.«
»Gibst du mir wenigstens einen Hinweis?«
»Wann kannst du denn kommen?«
»Vielleicht am späten Nachmittag?«
»Wunderbar. Komm doch zum Abendessen. Wir warten auf dich. À bientôt, ma chère fille. «
Sie legt auf, ohne meine Antwort abzuwarten.
Ma chère fille?
Ich klappe mein Handy zu und lasse es in meine Handtasche fallen. Was sollte das denn? Meine Mom hatte zwar schon immer eine Schwäche für Frankreich, aber seit wann spricht sie mit mir Französisch?
Kapitel 17
Ich kann mir nicht vorstellen, was für eine Überraschung mich heute Nachmittag erwarten mag.
Vielleicht haben Mom und Trish sich zu einem französischen Kochkurs angemeldet und brauchen ein Versuchskaninchen für ihre kulinarischen Experimente. Dad hat es nicht so mit der französischen Küche. Da ich überhaupt keine Art von Küche mehr essen kann, dürfte das kaum ein denkwürdiger Abend werden.
Ach ja. Trotzdem sollte ich keine kostbare Lesezeit verschwenden. Ich lasse mich wieder im Sitz zu-rücksinken und schlage das Buch beim ersten Kapitel auf. Im Gegensatz zu vorhin dauert es ein paar Sekunden, bis der gewöhnliche Dickens-Text verschwindet. Vielleicht hütet das Buch außerhalb von Freys Bibliothek seine Geheimnisse selbst.
Wartet es mit der Enthüllung des echten Textes, bis es sich vergewissert hat, dass die Hände, in denen es ruht, nicht mehr menschlich sind? Ich muss Frey unbedingt fragen, wie das funktioniert.
Als der Text sich vollständig umgewandelt hat, muss ich mich ganz schön konzentrieren, um ihn zu entziffern. Die altenglische Schrift ist nicht einfach zu lesen. Die Ausdrucksweise ist blumig und antiquiert. Ich blättere zur Titelseite zurück und begreife, warum. Das Buch hat kein Erscheinungsjahr, und da steht auch kein Autor. Nicht mal der Verlag. Vermutlich gibt es auch gar keinen, denn als ich genau hinschaue, scheinen mir die Seiten von Hand beschrieben worden zu sein. Mit Tinte.
Es überrascht mich, dass Frey mich mit einem so kostbaren Buch aus dem Haus gelassen hat, aber wie ich ihn kenne, ist es mit seinem eigenen Sicherheitssystem ausgerüstet. Sollte ich
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