Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
Adrenalin fluten und trommelt dröhnend die Nachricht durch meinen Körper, dass ich fliehen muss. Das Tier kämpft um die reine Selbsterhaltung. Ich springe in meinen Wagen, rase mit protestierend kreischenden Reifen die Auffahrt hinunter und bin auf der Straße schon ein paar Kilometer weit gefahren, ehe das rationale Denken wieder einsetzt.
Dann beginne ich zu zittern. Es fängt in meinen Händen an, die am Lenkrad zucken, und dann verkrampft sich mein ganzer Körper so heftig, dass ich anhalten muss. Ich taumele um den Wagen herum an den Straßenrand und würge, bis mir die Rippen weh tun. Ich erbreche Blut, schwarz und dick, das in meiner Kehle brennt wie Säure.
Ich habe gestern Abend von Lance getrunken, aber Blut wird von meinem Körper sofort aufgenommen. Es geht keinen Umweg durch ein Verdauungssystem, wie Nahrung in einem Menschen.
Woher dieses Blut kommt, weiß ich nicht.
Es ist mir auch egal. Mir ist zu schlecht, um mich damit zu beschäftigen. Ich bin zu schwach von der Anstrengung dieser Flucht. Ich falle auf die Knie, umklammere mit den Händen meine Mitte, kippe nach vorn und lande mit dem Kopf auf dem Asphalt, während ich darum bete, dass diese Übelkeit vorbeigeht.
Aus weiter Ferne, wie unter Wasser, höre ich ein Motorrad näher kommen. Das ist das tiefe, kehlige Röhren einer Harley. Aus Angst, das könnte Sandra sein, komme ich schwankend auf die Füße. Ich setze mich wieder hinters Lenkrad und lasse mich auf dem Sitz hinabgleiten, bis ich nicht mehr zu sehen bin. Ich warte darauf, dass das Motorrad vorbeifährt.
Da ist es.
Ich richte mich auf und starre der Gestalt nach, die vor mir davonfährt. Langes, s chwarzes Haar flat tert unter einem Helm hervor. Ein breiter, maskuliner Rücken wölbt sich hinter dem Lenker. Ein Fremder, nicht Sandra.
Erst bin ich erleichtert, und dann durchflutet mich das scheußliche Gefühl, wie vergeblich das eben war. Was sollte das? Habe ich mir vielleicht eingebildet, Sandra würde meinen Jaguar am Straßenrand nicht erkennen? Wollte ich mich etwa dadurch schützen, dass ich im Sitz heruntergerutscht bin?
Ich lehne den Kopf ans Lenkrad. Ich muss mich in den Griff bekommen. Ich weiß nicht, was vorhin in dem Haus passiert ist – in Averys Haus –, aber ich weiß, dass mir das nie wieder passieren wird. Ich werde niemals dorthin zurückkehren.
Und ich bin sicher, dass Sandras Bann gebrochen ist. Was für Zauber sie auch draufhaben mag, ich werde diesem Miststück keine zweite Chance geben, mich damit zu treffen.
Mein Herz hat aufgehört, wie wild zu pochen.
Mein Körper zuckt und zittert nicht mehr. Es wird Zeit, nach Hause zu fahren.
Kapitel 33
Ich war noch nie so froh, wieder zu Hause zu sein.
Es ist noch früh, erst zehn Uhr, aber ich gehe direkt nach oben. Ich putze mir die Zähne, bis mein Zahnfleisch zu bluten beginnt, und spüle mir dann den Mund aus, bis ich das Blut nicht mehr schmecke. Ich ziehe mich aus und gehe ins Bett. Da liege ich, die Decke bis unters Kinn hochgezogen, und versuche, den vergangenen Tag zu begreifen. Wie konnte alles so schiefgehen? Was ist bei Avery mit mir passiert? Wie hat Sandra das angestellt?
Freys Buch fällt mir ein. Vielleicht stehen die Antworten, die ich brauche, in diesem verdammten siebzehnten Kapitel – das ich noch nicht gelesen habe. Ich will aufstehen, um es zu holen, als mir einfällt, dass ich das Buch im Büro gelassen habe.
Verdammt. Ich habe nicht die Kraft, jetzt wieder aufzustehen und dorthin zu fahren.
Ein Autoalarm kreischt. Ich zucke bei dem Lärm zusammen und fahre hoch. Ist Sandra mir hierher gefolgt?
Dann lasse ich mich wieder in die Kissen fallen.
Verdammt noch mal. Der Alarm schrillt vorne auf dem Mission Boulevard, nicht in der Gasse hinter meinem Haus, und er kommt ganz sicher nicht von meinem Auto, das in der abgeschlossenen Garage steht.
Abgeschlossen. Habe ich unten beide Türen abgeschlossen? Alle Fenster verriegelt? In meiner Brust beginnt es wieder wild zu trommeln. Was zum Teufel ist nur los mit mir?
Ich schiebe die Decke beiseite, denn jetzt will ich nicht mehr schlafen. Ich hole meine Handtasche, kippe den Inhalt auf den Boden und krame darin herum.
Da ist sie.
Ich greife zum Telefon und wähle die Nummer von der Visitenkarte in meiner Hand. Bitte, lass ihn zu Hause sein.
»Hallo?«
»Lance? Hier ist Anna. Was tust du gerade?«
Er lacht fröhlich. »Mich auf den Weg zu dir machen?«
Ich seufze erleichtert. »Wann kannst du hier sein?«
Kapitel 34
Ich
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