Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
sich auf die Schreibtischkante und verschränkt die Arme. »Die FDA wollte gerade mit dem Zulassungs verfahren beginnen, was bei Arz neimitteln Jahre dauern und Millionen von Dollar verschlingen kann. Die Firma sollte an die Börse, um das dafür notwendige Kapital aufzubringen. Der Prospekt klang sehr vielversprechend. Es sah so aus, als hätte Benton tatsächlich ein Arzneimittel entwickelt, mit dem man HIV nicht nur behandeln, sondern heilen könnte.«
»Die Investoren müssen doch Schlange gestanden haben.«
»Allerdings. Das wäre die medizinische Entdeckung des Jahrzehnts gewesen.«
»Wäre gewesen?«
»Das Unternehmen hat noch vor den klinischen Studien aufgegeben. Das Emissionsangebot wurde zurückgezogen. Soweit ich feststellen konnte, ist die Firma bankrottgegangen.«
»Was meinst du, warum? Waren die vorläufigen Ergebnisse verzerrt oder irgendwie manipuliert? War das Ganze ein Schwindel?«
Dad schüttelt den Kopf. »Das kann ich dir nicht sagen. Ich weiß nur, dass unsere Pharma-Analysten sich das angesehen haben und geradezu begeistert waren. Wir waren so weit, das Unternehmen als Investition zu empfehlen. Herrgott, ich hätte die Aktie sogar selbst gekauft.«
Das ist eine beeindruckende Empfehlung. Dad sieht in seinem Geschäft jedes Jahr Hunderte von Investitionsmöglichkeiten, und sein eigenes Geld zu investieren, würde er nur bei sehr wenigen davon in Betracht ziehen. »Was glaubst du, wie viel Geld O’Sullivan investiert hatte, ehe das Ganze den Bach runterging?«
Dad zuckt mit den Schultern. »Um so ein Forschungsvorhaben zu finanzieren? Das dürften Millionen von Dollar gewesen sein.«
»Reden wir von zig Millionen?«
»Eher von ein paar hundert.«
»Himmel. O’Sullivan hat also mit Benton einen Haufen Geld verloren. Wer hätte sonst noch Schaden nehmen können, als die Firma pleiteging?«
Dad überlegt kurz. »Na ja, O’Sullivan war der größte Geldgeber. Aber der Forschungsdirektor und seine Angestellten haben höchstwahrscheinlich einen Teil ihrer Vergütung in Form von Unternehmensbeteiligungen bekommen.«
»Wie die Microsoft-Leute in den Achtzigern?«, frage ich. »Und als das Unternehmen dann an die Börse ging, sind Sekretärinnen Mitte dreißig als Millionärinnen in den Ruhestand gegangen.«
»Guter Vergleich. Leider funktioniert das andersherum genauso. Als Benton unterging, wurden die Beteiligungen wertlos.«
»Aber das hört sich nicht so an, als hätte O’Sullivan irgendetwas Ungesetzliches getan, oder? Warum sollte er wegen so etwas Schwierigkeiten bekommen?«
Dad schüttelt den Kopf. »Das kann ich dir nicht sagen. Soweit ich weiß, hat O’Sullivan nur wahnsinnig viel eigenes Geld verloren, aber ansonsten nichts Falsches getan.«
Es klopft leise an der Tür, und Trish späht zu uns herein. »Ich soll euch von Mom ausrichten, das Frühstück ist fertig.«
Dad lächelt sie an. »Wir kommen gleich, Schätzchen.« Er steht auf und lässt mich zur Tür vorangehen.
»Weißt du«, sagt er, »diese Benton-Sache hat vielleicht gar nichts mit irgendwelchem Ärger zu tun, den O’Sullivan möglicherweise hatte. Ich habe sie nur erwähnt, weil sie merkwürdig war. Er war ein zu guter Geschäftsmann, um eine Firma so weit zu bringen wie Benton und sie dann im letzten Moment fallenzulassen. Da stimmte irgendetwas nicht.«
Ich nehme seine letzte Bemerkung mit einem Nicken zur Kenntnis und speichere die Information ab. In Gedanken bin ich allerdings schon woanders. Bei einem naheliegenderen Problem. Sehr nahe, genauer, es erwartet mich in der Küche. Wie soll ich hier herauskommen, ohne meine Mutter einmal mehr zu beleidigen, indem ich ihr Essen verschmähe?
Kapitel 39
Es stellt sich als viel einfacher heraus, als ich dachte. Mom nimmt gerade Handtasche und Schlüssel an sich, als Dad und ich in die Küche kommen. Sie wirft mir ein entschuldigendes Lächeln zu. »Es tut mir leid, Anna. Ich habe einer Bekannten in der Kirche versprochen, dass ich ihr helfen werde, eine Spendensammlung für den neuen Gemeindesaal zu organisieren. Ich bin in zehn Minuten mit ihr verabredet. Setz du dich mit Trish und Dad hin, ich komme zurück, sobald ich kann.«
Ihre Haltung mir gegenüber ist weicher geworden. Am Auto hatte sie mich noch steif und förmlich begrüßt, jetzt wirkt sie beinahe freundlich. Tut sie das Trish zuliebe? Ist mir egal. Ich umarme sie kurz und verspreche ihr, mich bald zu melden, falls ich nicht mehr da sein sollte, wenn sie zurückkommt.
Ich trinke Kaffee und
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