Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
Besitzerstolz. Was bei Jessica allerdings mehr als verständlich war. Sie war ca. 1,80 m groß, magersüchtig schlank, hatte große braune Augen ein ebenmäßiges Gesicht und goldblond getönte Haare, die ihr heute Abend offen über die Schultern wallten. Sie trug ein elegantes eng anliegendes Kleid aus einem golden glänzenden Stoff, der die Farbe ihres Haars wieder aufnahm. Das Kleid war ärmellos und äußerst kurz geschnitten, so dass es den Blick freigab auf extrem lange, schlanke sonnengebräunte Beine und grazile, ebenso gebräunte Arme. Ihre schmalen Füße steckten in filigranen schwarzen Lacksandalen - wahrscheinlich von irgendeinem angesagten Designer, dessen Kreationen Craig ihr leistete.
Ich fragte mich, wie lange Jessica noch aktuell bleiben würde. Ihr familiärer Hintergrund war äußerst durchschnittlich. Da ihr der Stallgeruch fehlte, der eine geeignete Zuchtstute ausweist, konnte sie keinesfalls hoffen, dauerhaft im Sattel zu sitzen: Die Gordonfamilie erwartete von Craig dynastisches Gespür bei der Wahl seiner zukünftigen Ehefrau. Im Idealfall war sie Erbin eines Unternehmens, das die Hotelkette ergänzte, im schlechteren Fall war sie schlicht vermögend und entstammte einer angesehenen Familie. Es schadete nicht, wenn sie wie ein typisches Fotomodell aus der Marketing-Glanzwelt aussah. Tatsächlich ein Fotomodell zu heiraten, kam indes nicht in Frage. Die Liberalität manch eines europäischen Königshauses wollten die Gordons sich nicht zu eigen machen.
Zachary James Winston gehörte einer alteingesessenen Familie der Bauindustrie und des Baustoffhandels an. Nicht wenige Autobahnen, öffentliche Gebäude und Wohnkomplexe in New England waren von Winston Construction & Development geplant und errichtet worden. Da Zachs älterer Bruder in die Geschäftsleitung eingestiegen war, hatte er sich für eine Anwaltstätigkeit in einer weiteren namhaften Bostoner Kanzlei entschieden. Sein Fachgebiet war, der Familientradition in gewisser Weise folgend, das öffentliche und private Bau- und Architektenrecht, die Winston Group einer seiner besten Mandanten. Mit Steuerrecht hatte er nur als Betroffener, nicht als Berater zu tun.
Caitlin Mullin war ebenfalls groß, nicht ganz so schlank wie Jessica und hatte blaugraue Augen und braunes Haar, das sie heute Abend hochgesteckt zu einem schwarzen Seidenkleid trug. Sie war neunundzwanzig, arbeitete in derselben Kanzlei wie Zach und war, wie er mir verraten hatte, eine erstklassige Reiterin. Sie waren inzwischen zweieinhalb Jahre zusammen.
Anders als ich hatten es sowohl Craig als auch Zach nicht nötig gehabt, sich über ihre Zukunft Sorgen zu machen. Sie waren mit Dienstmädchen, Fahrern und anderem Personal aufgewachsen, hatten ihre Freizeit in Country- und Yachtclubs verbracht und gingen in den vornehmsten Häusern des Staates ein und aus. Die Ausbildung an einer Preparatory School und das Studium an einer Elite-Universität, für die ich auf ein Vollstipendium und hervorragende Noten angewiesen gewesen war, war bei Ihnen selbstverständliche Familientradition.
Am Anfang meiner Schullaufbahn hatte ich mich durch diese Welt getastet wie ein Blinder. Ich war der hochnäsigen Verachtung und dem herablassenden Spott verwöhnter Teenager ausgesetzt gewesen, deren Lebensweise und finanziellen Spielräume ich nicht teilte und deren Standesbewusstsein mich ebenso zum Außenseiter machte, wie die Tatsache, dass meine Leistungen es mir erlaubten, eine Klasse zu überspringen. Doch mit den Jahren lehrten die Jungen in meiner Umgebung mich sehen. Sie brachten mir die Regeln bei, die man beachten sollte, wenn man mitspielen wollte: wie man sich kleidet, worüber man spricht und vor allem mit wem man spricht. Wer es wert ist, von Interesse zu sein, - wenige - und wen es gelassen zu ignorieren gilt – viele.
Meine allmähliche Aufnahme in den erlauchten Kreis meiner Freunde fiel nicht ganz zufällig mit dem Eintreffen eines neuen Schülers zusammen, der dazu prädestiniert war, mich als Opfer allen Hohns abzulösen: Joseph Little.
Wie ich hatte Joseph seinen Platz an der Phillips Academy in Andover über ein Stipendium erhalten. Doch im Gegensatz zu mir trug er eine dickglasige Brille, die seine schielenden Augen noch größer erscheinen ließ, hatte Segelohren und unreine Haut. Da er pummelig war und seine Familie sich keinen Schneider leistete, waren die Bestandteile seiner Schuluniform entweder in der Länge passend aber zu eng oder in der Weite passend aber zu
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