Annas Erbe
Wahrscheinlich stehen Sie unter Stress. Gut, dass das Wochenende und die Feiertage vor der Tür stehen. Was haben Sie nur angestellt? Plötzlich wurden aus netten Kolleginnen kleine Huren, aus Hundeführern Sodomisten und aus bewährten Kräften brutale Schläger. Gibt es bereits eine Spur von Schneider und Dalla?«
Thann versuchte, seinen Hass zu unterdrücken. Da saß ein Mörder im Fell des Polizeipräsidenten und spielte den Harmlosen. Thann schluckte, bevor er antwortete. »Wir überwachen ihre Wohnungen rund um die Uhr. Wir wissen inzwischen, dass sie es waren, die bei Eich einbrachen. Sie wissen, Eich, der Tote auf der Deponie. Und bei mir haben sie gestern Abend auch eingebrochen. Sie gaben sich nicht einmal Mühe, ihre Fingerabdrücke zu verwischen. Sie scheinen sich sehr sicher zu fühlen, obwohl wir ihnen wenig Grund dazu geben, wie ich zumindest hoffe.« Thann sah Bollmann herausfordernd an.
»Was haben sie denn bei Ihnen gesucht?« Bollmann erwiderte den Blick.
»Ich weiß es nicht.« Thann wollte nicht der Erste sein, der auswich.
»Statt sie zu schnappen, lassen Sie sie also sogar in Ihre Wohnung.«
»Vielleicht hätten Sie mir die Leitung der Ermittlung geben sollen und nicht Bertram Fendrich.« Noch hielt Thann Bollmanns kalten Blitzen stand.
»Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, was ich von Alkoholikern halte, die sogar im Dienst nicht von der Flasche lassen können.« Das saß.
Thann wich aus. Er hatte das Duell verloren. Seine Gesichtshaut pochte. Er wünschte sich nur noch, Bollmann würde ihn in Ruhe lassen.
»Kopf hoch, Junior. Ich werde demnächst einen Suchtbeauftragten für das Präsidium einstellen. Vielleicht bekommen wir Sie dann trocken. Am Wochenende spannen Sie erst einmal richtig aus. Und am Montag heißt es: Ärmel aufkrempeln und den Stall ausmisten. Sie werden Fendrich helfen, den Sumpf der unerlaubten Nebenbeschäftigungen trockenzulegen, bevor die verdammte Presse Wind davon bekommt.«
Bollmann klopfte Thann väterlich auf die Schulter.
Den Nachmittag verbrachte Thann erneut damit, Kollegen nach ihren Nebenbeschäftigungen auszufragen. Er war mit wenig Schwung bei der Sache und schaffte es dennoch, sich unbeliebt zu machen. Er bemerkte, dass sich die Pornoaffäre bereits herumgesprochen hatte. Wo er auch hinkam, war die Stimmung meist aufseiten der Kollegen, die bei Korfmacher vor der Kamera Hure oder Hurenbock gespielt hatten, und gegen Thann, den Schnüffler. Geldknappheit war für viele schlimmer geworden als das, wofür sich Sigrid Kraftschik und Michi Moor hergegeben hatten. Thann musste sein Verständnis dafür verbergen. Immer wieder war ihm, als redete er mit Wänden. Er vermutete, dass viele Kollegen nach Feierabend ein Doppelleben jenseits des Gesetzes führten. Doch die Entdeckung der Narbe des Hundeführers blieb sein einziger Erfolg an diesem Tag.
Die Dämmerung brach herein, und die frühe Dunkelheit brachte dichten Nebel mit sich. Die Lichter auf den Straßen wurden zu Lichtbällen, rot und gelb und unfassbar. Selbst der Weg nach Hause, tausend Mal zurückgelegt, erschien Thann an diesem Abend fremd. Er fuhr langsam dahin, im Strom der vielen, die von der Arbeit kamen oder die letzten Stunden vor Ladenschluss zum Einkauf genutzt hatten. Thann hatte wieder dieses Gefühl von Verletztheit und Unruhe, als er seine Wohnung betrat. Die Versicherung würde die Schäden bezahlen, die Unordnung konnte er am Wochenende beseitigen, doch so heimisch wie zuvor würden ihm diese Räume niemals mehr erscheinen. Er las noch mal die Drohung Schneiders und Dallas an seiner Wand:
THANN, DICH MACHEN WIR ALLE!
Er trug den demolierten Fernsehapparat in den Keller und kam zurück mit einem Rest weißer Wandfarbe. Während er die beschmierte Wand überstrich, beschloss er, Eva zu bitten, ihn für ein paar weitere Tage zu beherbergen. Gedanken an den Mordfall Eich schossen durch seinen Kopf. Die Entdeckung auf der Deponie vor gut einer Woche. Es kam ihm viel länger vor.
Gefoltert, bevor man ihn ermordete.
Thann räumte ein wenig auf und überstrich die Wand ein zweites Mal. Auch danach schimmerten die bösen Worte noch durch. Ein Menetekel des Feindes in der eigenen Wohnung. Die Handschrift der Mörder Eichs. Feine Kollegen.
Ein so bestialischer Fall ist mir noch nie begegnet.
Thann nahm einen großen Schluck. Er hatte keine Idee, wie er Bollmann packen konnte.
Junior, das ist eine Nummer zu groß für Sie.
Er sah nur noch eine Chance. Er verschloss den
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